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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Männer setzten sich an einen langen Tisch auf einer Seite des Hofes, die Frauen an einen auf der anderen Seite. Der Bräutigam plazierte den Rabbi zu seiner Rechten und Jesus zu seiner Linken, was ersterem den Appetit zu verderben schien. Jesus dagegen verspeiste seine gebratenen Wachteln, die Gerstensoße und auch noch die letzte gefüllte Dattel mit ungeteiltem Vergnügen, während er mit seinem Nachbarn Zitate aus dem »Hohenlied« austauschte. Im Gegensatz zu anderen Gästen, die zum Ende des Essens hin einen benommenen Eindruck erweckten, weil sie viel getrunken hatten, behielt Jesus einen klaren Kopf. Er hatte das Getränk gekostet und zu stark befunden; es war Wein aus Chios, den man zweifellos in neuen Krügen transportiert hatte, so daß er durch die Verdunstung zu stark eingedickt war.
    Gesänge stiegen in die Nacht auf, und junge, weißgekleidete Mädchen, die eine Lampe in der Hand hielten, betraten den Hof und stellten sich dann neben dem Baldachin auf, den man gegenüber vom Eingang aufgebaut hatte. Sie stellten die törichten und die weisen Jungfrauen dar. Die Braut nahm Platz unter dem Baldachin, gekrönt mit einer vergoldeten Girlande, das Gesicht gerötet in Erwartung ihres zukünftigen Gatten, der, begleitet vom Rabbi, Jesus und den Männern seiner Familie, auf sie zutrat.
     
»Meine Taube, die in der Felswand nistet
Oder in den Spalten der hohen Gletscher,
Laß mich dein Gesicht sehen.
Deine Stimme hören...«
     
    sang der Mann mit warmer und leichter Stimme. Und die Gäste sangen:
     
»Fangt sie für uns, die Schakale,
Die kleinen Schakale,
Die unsere Weinberge verwüsten,
Wenn die Reben blühen.«
     
    Der junge Mann mußte ganz langsam gehen. Die Jungfrauen schützten sorgfältig die Flammen ihrer Lampen. Als der Bräutigam sang:
     
»Der Brunnen in meinem Garten
Ist eine Quelle fließenden Wassers aus dem Libanon.
Wach auf, Nordwind, komm nur, Südwind...«
     
    konnten nur fünf Jungfrauen ihre Flamme vor dem Luftzug schützen. Die zukünftigen Eheleute standen sich nun gegenüber. Ein Granatapfel wurde auf den Boden geworfen, wo er zerbarst, Parfümflaschen wurden vergossen, während der Rabbi die Trauformeln rezitierte und der junge Mann aufrecht stehend die Hand des Mädchens hielt. Wie immer weinten die Frauen, wohingegen die Männer in Hochrufe ausbrachen. Jesus sah Tränen auf den Wangen seiner Mutter. Er fragte sich, ob sie der Erinnerung oder dem Bedauern entsprangen. Als die Tränen getrocknet waren, brachten die Diener dem jungen Paar die Geschenke. Sie verkündeten dabei, während sie zu ihren Füßen Silberteller, Leuchter, Stoffe und Seidengewänder, Gewürzsäckchen und klingende Geldbörsen niederlegten: »Das wird geschenkt von David, dem Sohne des Mathat« oder: »Das wird geschenkt von Myriam, der Mutter des Barnabas« und so weiter.
    Der Herr des Hauses bat, man solle zu trinken bringen, doch die Dienstboten erwiderten, es gebe keinen Wein mehr. Da war aber auch kein Händler in Kana, der genug Wein für Dutzende von Leuten gehabt hätte, die Bestände waren verkauft. Jakob, der junge Ehemann, konnte nur schwer seine Verlegenheit verbergen. Der Rabbi zwinkerte gehässig mit den Augen, als hätte er schon gewußt, daß in einem Haus, in dem man Leute wie Jesus einlud, bei Anlässen wie einer Hochzeit der Wein ausging. Sein Gesichtsausdruck ärgerte Jesus, zumal der Rabbi, der zweifellos schon angeheitert war, erklärte: »Ist es nicht seltsam, daß wir keine Getränke mehr haben, wo doch ein Wundertäter unter uns ist?«
    »Groll hat noch keinen genährt«, sagte Jesus laut, »und auch keine Traube, die auf einem verdorbenen Weinberg wuchs.«
    »Ja«, rief Natanael mit dröhnender Stimme, »wenn gewisse Leute Durst haben, warum holen sie nichts aus ihrem eigenen Keller?« Manche Gäste fingen an zu lachen und schlugen tatsächlich vor, man solle Wein aus der Synagoge holen. Inzwischen hatte Jesus den Mundschenk gerufen, um mit ihm die leeren Krüge zu untersuchen. Eine Art Sirup hatte sich auf ihrem Boden angesammelt. Er ähnelte den Rückständen, die man sonst in viel geringerem Umfang am Boden der Krüge mit palästinensischem Wein fand und die man immer ausspülte, wenn man neuen Wein einfüllte.
    »Ich habe noch nie einen so dicken Satz gesehen«, meinte der Mundschenk.
    »Vielleicht kann man zusätzlichen Wein erhalten, wenn man Wasser dazugibt, um ihn aufzulösen«, sagte Jesus.
    »Die Rückstände sind sauer«, bemerkte der andere.
    »Es sind nicht nur

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