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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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hat.«
    Ein tiefes Gemurmel, das wie ein dumpfes Brausen klang, begrüßte dieses Gleichnis. Sie hörten also zu, sie unterschieden zwischen der Bestätigung der göttlichen Gerechtigkeit und dem Lob der Tugend. Er suchte in dunklen Augen, unter zerzausten Haaren und glatten Haaren, erkannte bittere Münder und noch weiche Lippen.
    »Ich sage euch also im Namen unseres Vaters im Himmel, daß der Arme das Salz der Erde ist. Er soll nicht auf den Hochmut des Reichen achten, er soll wissen, daß er Gott so nahe ist, wie der nackte Fuß der Erde nahe ist, und daß er der wahre Hüter des Glaubens ist.«
    Er breitete die Arme aus und ließ sie dann sinken, um zu zeigen, daß seine Ansprache zu Ende war. Doch sie warteten immer noch.
    »Bist du der Messias, wie man sich erzählt?« fragte eine Stimme in der Menge, die sofort von anderen aufgenommen wurde.
    »Ich bringe euch die Wahrheit, und diese Wahrheit gehört mir genauso wie allen anderen«, antwortete er.
    »Aber bist du der Messias?« beharrte eine Frau.
    »Gott bestimmt in Seiner unbegreiflichen Weisheit, wen Er will, und derjenige weiß es nicht einmal selber. Wenn ich der Messias bin, so weiß ich es nicht.«
    »Stimmt es, daß das Ende der Welt nahe ist?« fragte ein anderer. »Du, der mich das fragt, weißt du, wann du stirbst? Oder wann dein Bruder stirbt? Was ist für dich also der Unterschied zu unser aller Tod? Wirst du tugendhafter sein? Oder wirst du es etwa weniger sein? Ich sage euch, niemand auf Erden kann die Wege des Herrn erahnen, aber jeder muß bereit sein, jede Stunde des Tages und der Nacht vor seinem Schöpfer zu erscheinen.« Er trat einen Schritt zurück. »Kehrt zu eurer Arbeit zurück, und mögen die Worte, die ich euch überbracht habe, den Frieden bringen!«
    Die Menge zerstreute sich.
    »Jetzt«, meinte Simon, »würden diese Leute und viele andere dazu dir von Galiläa bis Jerusalem folgen, wenn du es verlangtest.«
    »Ich bin kein General«, erwiderte Jesus. »Nur die Worte sollen nach Jerusalem gelangen.«
    Simon schien unzufrieden mit der Antwort, aber Jesus konnte ihm nichts mehr erwidern. Er hatte gerade Thomas entdeckt, der ganz in eine leidenschaftliche Diskussion mit einem Fremden vertieft war. Als Thomas sich ihm zuwandte, trugen seine gequälten Gesichtszüge den Ausdruck eines Schauspielers, der Überraschung vortäuscht. In gezwungenem Ton erklärte Thomas, daß sein Gesprächspartner ein alter Bekannter und ein Schüler von Jokanaan sei und am Vortag bei der Taufe des Apollonios und seiner Schüler anwesend gewesen sei.
    »Apollonios getauft!« murmelte Jesus.
    »Aber er wird dir nicht gleichkommen, Herr. Er kann es nicht. Allein, die Zeit drängt. Du mußt deine Autorität in den großen Städten festigen. Und wir brauchen mehr Männer.«
    »Ja«, meinte Andreas, »fünf sind zuwenig.«
    »Nur der Teufel treibt zur Eile«, antwortete Jesus. »Gott wird Rat bringen.«
    Am Abend wurde klar, daß Simon, Andreas und Philippus eine Unterbrechung wünschten, um ihre Familien wiederzusehen. Jesus stimmte zu. Am nächsten Tag war er allein mit Natanael und Thomas. Warum Natanael nicht auch zu seiner Familie gehe? Er müsse ihnen zu viel erläutern, erklärte der mit einem halben Lächeln.
    Sie fanden ein Haus, in das sie sich zurückziehen konnten, denn die Mengen, die Jesus folgten, sobald er sich auf die Straße wagte, wurden langsam erdrückend. Und Jesus wollte sich ausruhen, während er auf die Rückkehr von Simon, Andreas und Philippus wartete. Natanael kümmerte sich zusammen mit einer Frau aus dem Dorf um das Essen, denn Thomas konnte nicht einmal ein Ei kochen. Tagsüber gingen sie auf der glühenden Straße um den Berg Tabor spazieren. Jesus grübelte. Jokanaan, der in der Nacht schwebte, die Python der Kadath, die Milch trank, das Wiedersehen mit Thomas, diese immer hitzigeren Menschenmassen... die fünf Jünger... Und all das in nur zwei Monaten, seit der Abfahrt in Ptolemais! Er suchte nach dem Sinn, dachte an die Worte des ägyptischen Priesters in Heliopolis. »Nur die Götter sehen den Teppich von vorne. Wir sehen nur die wirre Zeichnung auf der Rückseite.« Die Juden erwarteten etwas oder jemanden mit größerem Feuereifer, als er angenommen hatte. Bis jetzt war es ihm erschienen, als sei er erwählt worden, um der Mann zu sein, den sie sich als Befreier vorstellten. Er bot sich also für ihre Erwartung an, um so mehr, als es auch die seine war. Aber danach? Danach? Der Wind blies in seine Segel, aber zu welchem

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