Ein Mensch namens Jesus
Schweinefleisch gegessen, und du haßt natürlich die Samariter, und doch weißt du wohl, daß dieser Sünder dir überlegen ist, und du weißt es so gut, daß du ihn als Herrn akzeptierst. Dein Herr ist ein Sünder, Simon! Ich bin stolz darauf und glücklich darüber. Und wenn du kein Sünder bist, Simon, wäre es gut, wenn du in ein Bordell gingst, um das Leben ein wenig besser zu verstehen. Wem willst du predigen? Denn wir werden bald predigen müssen. Den Engeln? Reine Geister brauchen deine arme Lehre nicht, Simon, und die, deren Glauben makellos ist, brauchen sie auch nicht, Andreas! Ihr wollt alle wissen, warum ich Jesus folge. Weil ich sein Gesicht beobachtet habe, als er dieses kranke Mädchen in Samaria heilte. Er hatte die Last der Krankheit dieses Mädchens auf sich genommen. Ich habe auch gesehen, wie Apollonios Kranke heilte. Der empfand kein Mitleid. Er handelte wie ein Beamter des Höchsten Geistes, der ein Edikt anwendet. Er hielt sich für sündenfrei.«
Simon legte den Kopf in die Hände, als leide er unter unerträglichem Schmerz, Andreas schien alt und krank zu sein, Philippus verdrehte verwirrt die Augen. Natanael aber kniff sich mit Zeigefinger und Daumen in die Unterlippe.
»Herr«, murmelte Simon, »folgen wir also in Deinem Namen einem Mann, der ein Sünder ist? Ist das da Dein Bote?«
»Simon!« rief Thomas. »Hast du geglaubt, du folgst einem Engel? Hast du nie daran gedacht, daß Engel keine Mütter haben? Und wenn Jesus ein Engel wäre, was wäre denn dann dein Verdienst? Einem Engel würde jeder Mensch folgen. Oder habt ihr, Brüder, in wahnhafter Eitelkeit angenommen, ihr wärt vom Allmächtigen auserwählt worden? Habt ihr das wirklich geglaubt?«
»Du wirst uns mit deiner Philosophie noch verrückt machen, Thomas!« sagte Philippus lächelnd. Er streckte sich und schloß die Augen.
»Philosophie?« schimpfte Thomas. »Es gibt in dem, was ich sage, nichts Philosophisches — nur gesunden Menschenverstand.«
»Und wohin wird uns dieser Mann nun führen?« fragte Philippus. »Wenn man es euch sagte, würdet ihr es nicht verstehen. Alles, was ich euch sagen kann, Brüder, ist, daß ihr ihm folgt, weil ihr ihn unwiderstehlich findet und ihr nicht anders könnt. Er ist wie eine Musik, die in der Ferne gespielt wird. Man sieht die Musikanten nicht, doch trotzdem schlägt das Herz in ihrem Rhythmus.«
»Das gleiche könnte man auch vom Teufel sagen«, murmelte Natanael.
»Ja, das könnte man«, gab Thomas trotz Simons entrüstetem Blick zu. »Und doch wissen wir, daß er nicht der Teufel ist. Woher wissen wir es? Nicht mit unseren Köpfen; mit dem Kopf kann man nichts wissen. Nein, Simon, schau mich nicht so an! Wir wissen, was wir wissen, mit dem Herzen und dem Fleisch. Die Wahrheit durchdringt uns wie ein Schwert. Du hast keinen Beweis dafür, daß etwas — und sei es Gott — existiert, Simon. Und doch weißt du es. Dieses Schwert durchstößt den Panzer der Worte, um unsere Herzen zu erreichen.«
»Du bist betrunken«, sagte Andreas und stand auf.
»Dein Pech ist es, Andreas«, erwiderte Thomas, »daß du deinen Verstand so hochschätzt, daß du es dir niemals erlauben wirst, betrunken zu sein. Und weißt du, warum, Andreas? Weil du fürchtest, daß die Trunkenheit deine Blößen enthüllt.«
»Sollen doch die anderen die ihren bedecken«, sagte Andreas und ging.
»Die Art, wie du dich der Worte bedienst, ist gefährlich, Thomas«, meinte Simon und trank seinen Becher leer. »Sobald die Gefühle schwanken, wird dich die Qual des Zweifels annagen.«
»Ich ziehe den Zweifel der Undurchsichtigkeit der Sadduzäer vor«, antwortete Thomas. »Ich trinke auf den Zweifel!«
Er blieb allein mit Philippus und Natanael, die auf ein letztes Wort zu warten schienen.
»Wir sind auf Erden«, sagte er und leerte nun ebenfalls seinen Becher. »All dies geschieht auf Erden. Jesus ist auf Erden und schläft wie jedes menschliche Wesen, weil er müde ist. Wir dürfen uns nichts vormachen. Diejenigen, die glauben, daß der Himmel sie auserwählt hat, laufen Gefahr, die schlimmsten Irrtümer zu begehen. So ist es schließlich auch Israel ergangen...«
»Aber du, du bist doch, hast du gesagt, aus Didyma, also bist du kein Jude«, bemerkte Philippus.
»Nein. Eigentlich bin ich aus Thrakien.«
»Was machst du dann bei uns? Dies ist eine Angelegenheit der Juden.«
»Ich bin mir da nicht so sicher, wirklich nicht«, erwiderte Thomas mit einem feinen Lächeln. Er stand auf und wünschte den
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