Ein Mensch namens Jesus
Fruchtfleisch von Granatäpfeln und kaute mechanisch und in trübsinnige Gedanken versunken diese anderen Granatperlen. Eine Sklavin kroch zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Herrin, der Tetrarch wünscht deine Gesellschaft beim Abendessen.«
»Kein Hunger«, grummelte Herodias. »Sag ihm, er soll nicht auf mich warten. Gibt es im Keller griechischen Wein? Nicht den harzigen, sondern den leichten Rosé.« Eine andere Sklavin lief los, um dem Tetrarchen die Antwort zu überbringen, und bald durchlief das Echo von Herodias’ Wunsch nach griechischem Rosé den Palast.
Die Nubierin, die dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt war, stand vor dem Fenster und hielt das Kollier, das sie aus der Schmuckschatulle genommen hatte, gegen das Licht. Sie bewunderte den Widerschein der Perlen und das Feuer der Granate, das sie belebte. Vor Freude lächelnd, ging sie zu ihrer Herrin und beugte sich vor, um das Schmuckstück in deren Nacken zu befestigen, wobei sie darauf achtete, die Haare nicht einzuklemmen. Dann betrachtete sie ihr Werk.
»Selbst wenn du einen Strick tragen würdest, sähe er aus wie Gold«, murmelte sie.
»Ich werde dir einen Strick um den Hals binden, ja!« erwiderte Herodias, mußte aber gegen ihren Willen über das Kompliment lächeln, während sie mit den Fingern über die Steine fuhr.
Doch das Lächeln verschwand, als die vertrauten Schritte der Wache, die Herodes vorausging, im Gang widerhallten. Der Tetrarch selber hob den schweren Stoff, der vor der Tür hing, und entledigte sich so der Dienstbarkeit eines Eunuchen, der bei den Wachen blieb. Alle hielten den Atem an in der Hoffnung, etwas von dem Gespräch mitzubekommen. Doch sie wurden enttäuscht, denn Herodes schloß hinter sich die Tür.
Antipas schnupperte kurz den Duft des Zimmers ein, als wolle er herausfinden, welche Laune gerade herrschte. Herodias’ Blick klärte ihn sofort auf. Sie war mürrisch.
»Mein geliebtes Rebhuhn will griechischen Wein«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich habe ihr den Tau der Weinreben von Asterien gebracht, den der Atem der Cherubinen erfrischt hat.«
Er öffnete die Tür wieder und erteilte einen Befehl. Zwei Sklavinnen brachten einen Krug mit dem gewünschten Getränk und stellten ihn auf einen Dreifuß. Eine von ihnen tauchte einen Schöpflöffel hinein, um einen Kelch zu füllen, und trank einen Schluck. Darauf reichte ihr die Amme einen Kelch aus Gold, der ebenfalls gefüllt wurde; auch sie kostete den Wein, schnalzte, während sie der Sklavin böse Blicke zuwarf, mit der Zunge und zeigte sich endlich einverstanden, das Getränk ihrer Herrin zu reichen. Herodias benetzte ihre Lippen, da sie sich von Herodes beobachtet wußte, und seufzte mit halb geschlossenen Augen.
»Schmeckt er dir nicht?« fragte Herodes.
»Doch. Ich weiß nicht, warum ich ihn mir leichter und würziger vorgestellt hatte.«
»Ich hoffte auf deine Gesellschaft«, sagte er. »Es gibt gebratene Wachteln auf Thymian, wie du sie liebst.«
»Ich habe heute abend keinen Hunger.«
»Wirklich?«
»Du solltest dein Essen nicht aufschieben«, meinte sie. »Ich werde sicher morgen mitessen.«
Er zog einen Schmollmund, sichtlich verärgert durch die Aussicht, nur in Gesellschaft schnatternder Höflinge zu essen. »Komm wenigstens und trinke deinen Wein mit mir.«
»Ich hab’ Kopfweh.«
»Meine Schneetaube wird doch wohl nicht krank sein?«
»Deine Schneetaube ist in der Stimmung einer Fledermaus.« Herodes sog die Luft heftig durch die Nase ein. Die liebenswürdige Miene, die er aufgesetzt hatte, um die Gesellschaft seiner Frau zu erlangen, war fort, statt dessen kamen die verhärmten Züge des Potentaten wieder zum Vorschein. »Da ist noch diese Sache mit dem Eremiten«, sagte er.
»Du wirst wohl, nehme ich an, nicht überrascht sein, daß eine Frau, die öffentlich beleidigt und nicht gerächt wurde, keinen Appetit hat«, antwortete Herodias spitz.
»Die Schakale bellen, und die Karawane zieht weiter.«
Die Amme und die Sklavinnen standen wie mit der Wand verschmolzen. Sie fürchteten diese Auseinandersetzung seit Wochen. Jeder Riß in dem zerbrechlichen Kräfteverhältnis des Palastes konnte auch ihr Schicksal beeinflussen.
»Es ist nicht Gebell, was man uns berichtet hat und was man sich im ganzen Lande erzählt«, gab Herodias zurück.
»Es sind Worte, und Worte können schlimmer sein als Bisse wütender Schakale. Bist du zufrieden mit dem Hohngelächter der Pharisäer um uns herum? Und wirst du zufrieden sein, wenn dieses
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