Ein Mensch namens Jesus
Hände vor dem Essen zu waschen?« fragte der Hausherr. »Und warum sollte das Pharisäertum etwas Schlimmes sein? Sind nicht auch unsere Priester Pharisäer? Lehnt ihr etwa unseren Klerus ab?«
»Wir lehnen niemanden ab«, entgegnete Simon Petrus, »ganz im Gegenteil, die Pharisäer sind uns feindlich gesinnt. Und welchen anderen Grund sollten sie dafür haben als den, daß sie sich durch das Licht der Wahrheit bedroht fühlen? Ist es nicht eine alte Regel, daß die Eule beim ersten Hahnenschrei auf und davon fliegt?«
»Ich zweifle nicht an eurem Glauben«, erwiderte der Hausherr immer noch in ruhigem Ton, »aber in unserem Land wimmelt es von Propheten und Magiern. Ob es sich dabei wirklich um fromme Männer oder um Scharlatane handelt, weiß niemand so recht. Als Kaufmann reise ich viel umher, und im Laufe der vergangenen Monate hörte ich zum Beispiel von einem gewissen Simon, einem wunderwirkenden Mann, der trockene Holzstecken wieder grün werden läßt oder eine Flamme aus seinen Fingerspitzen hochzüngeln lassen kann. Mir wurde sogar versichert, daß jener Simon des Nachts durch die Lüfte fliegt und daß er in Sarepta vor den Augen seiner Anhänger verschwand, um in Tyrus wieder aufzutauchen. In Damaskus dann begegnete ich einem bemerkenswerten Mann namens Dositheus, umgeben von einer großen Jüngerschar, unter denen ich römische Offiziere, nabatäische Prinzen, syrische Würdenträger und, ob ihr es glaubt oder nicht, sogar Juden erkannte. Ich hatte weder Lust noch Muße, ihm zuzuhören, aber man versicherte mir ebenfalls, daß das Geheimnis seines Erfolges in seiner besonderen Lehre zur Erlangung der göttlichen Glückseligkeit liege, die jeder Mensch durch Fühlung mit dem, was er — der Herr möge mir verzeihen — den Großen Geist des Universums nennt, anstreben könne. Die Juden schworen mir, sie hätten ihn über dem Boden schweben sehen, und einige unter ihnen waren felsenfest davon überzeugt, daß er der zukünftige König Israels und des ganzen Universums sei; sie wagten sogar, ihn Messias zu nennen. Weitere Reisende erzählten mir noch von anderen Meistern, so zum Beispiel von einem gewissen Apollonios von Tyana, den sie im Osten von Antiochia getroffen hatten... All diese Leute vollbrachten Wunder und erteilten berühmte Lehren. Warum also sollte gerade euer Meister sich von ihnen unterscheiden? Und warum brauchen wir überhaupt einen neuen Meister?«
Simon Petrus und Matthäus hatten diesem skeptischen Vortrag mit wachsendem Unbehagen zugehört. Nun mußten sie entweder eine überzeugende Antwort finden oder aber schleunigst das Haus verlassen.
»Deine eigenen Worte beinhalten die Antworten auf deine Frage«, ent-gegnete Simon Petrus. »Alle von dir erwähnten Meister sind Beweis dafür, daß die Menschen auf einen Meister warten. Aber keiner von ihnen ist Jude, und wenn sie auch über besondere Tugenden und Fähigkeiten verfügen, so sprechen sie doch nicht unsere Sprache und gehören nicht unserem Glauben an. Und warum erwarten die Menschen einen neuen Meister? Weil der Geist des Gesetzes verhöhnt wird, weil wir unter einem fremden Joch leben und weil das Gelobte Land durch Denkmäler und Statuen fremder Gotteskulte entweiht wird. Ist dir das etwa entgangen? Es mag ja sein, daß du viel reist, dein eigenes Land aber kennst du vielleicht nicht so gut.«
»Außerdem hast du vorhin Jokanaan erwähnt«, ergänzte Matthäus. »Du dachtest, er sei der Messias. Aber ebendieser Jokanaan hat Jesus als den Messias angekündigt.«
Der Hausherr nickte, und die Frauen im Hintergrund stießen laute Seufzer der Erleichterung aus. Matthäus konnte nun endlich seinen Wein trinken. In der ganzen Küche breitete sich tiefes Schweigen aus.
»Schenkt meinen Gästen Wein nach«, wies der Gastgeber schließlich die Dienerinnen an, die seinem Befehl eilends nachkamen. »Man lernt nie aus.«
»Lernen ist immer gut«, pflichtete Simon Petrus ihm bei, »denn es bedeutet, ewig jung zu bleiben. Du kennst sicher die Worte der Midrasch: >Wenn es keine Kinder gibt, gibt es keine Schüler; und wo es keine Schüler gibt, gibt es auch keine Weisen, ohne Weise wiederum keine Meister, ohne Meister keine Propheten, und wo keine Propheten sind, läßt Gott Seine Schechina 10 nicht wirken.< Die Schechina des Herrn möge sich über dieses Haus legen.«
Der Herr erhob sich. »Laßt es euch schmecken und lobt den Herrn, daß Er euch hierher geführt hat«, sagte er. »Mein Haus steht euch offen, solange ihr
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