Ein Mensch namens Jesus
wollt.«
Die Frauen klatschten Beifall; er tat, als habe er nichts gehört.
»Ich werde euer erster Täufling sein«, schloß er.
Neun Menschen wohnten in dem Haus; sie alle ließen sich am nächsten Tag taufen. Da ein reicher Kaufmann den Anfang gemacht hatte, beeilten sich die Nachbarn am darauffolgenden Tag, dem guten Beispiel zu folgen. Der Rabbi, derselbe übrigens, der sich vor einigen Monaten Jesus widersetzt hatte, versuchte diese Entwicklung aufzuhalten - aber vergebens. Als Argument führte er an, daß in keinem Buch geschrieben stünde, man könne sich mit Wasser von seinen Sünden reinwaschen. Er behauptete, ein solcher Ritus komme dem Heidentum gleich, und auf einer Versammlung der Stadtältesten von Kana ereiferte er sich sehr, als er mit schriller Stimme vor diesem Neuerungen warnte, die die althergebrachte Überlieferung gefährdeten.
Die Stadtältesten nickten nur höflich mit dem Kopf und hielten ihm dann entgegen, daß die Reinigungsriten schon lange vor der Taufe existiert hätten und daß es keinen Grund gäbe, sie als Sünden abzuurteilen wie beispielsweise die Berührung von Frauen während der Regel oder von Leichnamen, und schließlich stellten sie noch fest, daß die Überlieferung Jerusalem nicht gerettet habe. Zweien oder dreien der Versammelten gelang es, den Rabbi zum Schweigen zu bringen, indem sie mit Verschwörermiene ein paar Verse Jesajas zitierten:
»Groß wird das Königreich sein,
und grenzenloser Friede wird herrschen
auf dem Thron Davids und über seinem Reich,
um ihn zu begründen und zu festigen
in Gerechtigkeit und Redlichkeit
für jetzt und in alle Ewigkeit.«
»...der Thron Davids!« Der Rabbi hatte die Anspielung verstanden; sogar die Stadtältesten glaubten also, daß Jesus der Messias sei. Denn der Rabbi kannte die Verse, die den eben zitierten vorangingen und die einen Erben für den Thron Davids ankündigten. Er hielt den Mund. Doch noch war nicht alles ausgestanden für ihn: Am nächsten Tag, wiederum auf einem Fest — auf Festen hatte er einfach kein Glück — , das ein Kaufmann, ein Freund des Gastgebers der beiden Jünger, veranstaltete, erblickte er Simon Petrus und Matthäus. Er eilte zur Tür, aber Matthäus stellte sich ihm in den Weg. Der Rabbi erblaßte, er hatte Angst vor einem Wortgefecht. Alle Geladenen verfolgten gespannt die Szene. Da erhob sich die Stimme des Simon Petrus, den der Wein dieser Stadt Kana in angriffslustige Stimmung versetzt hatte. »>Du hast verachtet, was mir heilig ist, und du hast meinen Sabbat entweiht<, spricht Ezechiel durch die Stimme eines alten Fischers. >In dir, Jerusalem, haben Verräter Blut vergießen lassen; in dir wohnen Menschen, die an heiligen Stätten Festgelage abhielten und sich ihren Ausschweifungen hingaben...<«
Der Rabbi stieß Matthäus mit Gewalt zur Seite und entwischte durch die Tür.
»>... In dir haben Männer das Geschlecht ihrer Väter entblößt, sie haben Frauen während ihrer Regel vergewaltigt!<« rezitierte Simon Petrus mit Donnerstimme.
So mancher glaubte von der Straße her Verwünschungen zu hören. Aber auf die Sieger wartete der Wein. Einige Gäste blickten zum Himmel auf und sahen die Wolken fliehen, als nähmen sie Reißaus vor dem Mond.
Thomas und Natanael waren nach Hippos aufgebrochen. Thomas hatte diese Wahl getroffen, denn die Bewohner von Hippos sprachen gut griechisch, und als ehemaliger Schüler des Apollonios sehnte er sich nach einer guten, gelehrten Unterhaltung in dieser Sprache. Er hegte keine großen Hoffnungen, viele Menschen in dieser heidnischen Stadt der Dekapolis zu taufen, aber er versicherte Natanael, daß jeder getaufte Heide zwei luden aufwiege.
»Heißt das, daß du die Juden geringschätzt?« fragte Natanael.
»Sie sind so provinziell geworden!« murmelte Thomas. »Warte nur, bis du Hippos siehst, dann wirst du mich verstehen. Die Straßen sind sauber und hell erleuchtet in der Nacht, und die Leute dort halten Unwissenheit nicht für eine Tugend.« Und da Natanael peinlich berührt schien, fügte Thomas hinzu: »Jesus ist gewiß ein gebildeter Mann, Bruder, die Rabbi dagegen sehen keinen Unterschied zwischen Sokrates und einem alten Topf.«
»Wer ist Sokrates?« erkundigte sich Natanael.
»Siehst du nun, was ich meine, kleiner Jude?« erwiderte Thomas liebevoll lächelnd. »Er war ein sehr berühmter griechischer Meister, der lehrte, daß sogar der Geist sich von sich selbst befreien muß.«
»Ist dein Geist frei, Thomas? Lastet all dein Wissen
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