Ein Mensch namens Jesus
unser!«
»Jesus«, wiederholte die Herrin nachdenklich, »der war doch vor einigen Monaten auf der Hochzeit der Tochter des Zebedäus. Die Leute behaupten, er habe an jenem Abend Wasser in Wein verwandelt. Frau! Beruhige dich doch und lade sie zu uns ein.«
Eine Stunde später — die Einladung war mittlerweile überbracht — kam der Hausherr heim und traf dort zwei Männer an, die mit aschfahlem Gesicht in der Küche warteten und den Anschein erweckten, als müßten sie jeden Augenblick vor ihre Richter treten. Er erkundigte sich nach ihrem Namen und dem Grund ihrer Anwesenheit. Simon Petrus und Matthäus, die ja nicht wußten, wen sie vor sich hatten, blieben weiterhin wortkarg und finster. Dann schalteten sich die Bediensteten mit der Erklärung ein, die beiden seien fromme Männer. »Herr! Sie können die Zukunft Vorhersagen! Schreckliche Dinge, oh, Grauenhaftes steht Israel bevor!« erfuhr er aus dem zahnlosen Mund seiner alten Amme. »Wir sollen ihnen auf Wunsch unserer Herrin zu essen geben.«
Obwohl ihm der Bezug zwischen den hellseherischen Fähigkeiten der Besucher und dem Essen nicht recht klar war, nickte er, und während die Diener geschäftig den Tisch deckten und ihnen Geflügel, Käse, Brot und Wein vorsetzten, warf er forschende Blicke auf die rätselhaft verschlossenen, faltenzerfurchten Gesichter von Simon Petrus und Matthäus.
»Wir kommen aus Kafarnaum«, erklärte Simon Petrus endlich nach langem Schweigen. »Wir haben ahnungslos vor uns hin gelebt, bis der Herr unsere Schritte zu Jesus, unserem Meister, hinlenkte...«
»Jesus!« unterbrach ihn sein Gastgeber. »Gehört ihr etwa zu seinen Jüngern?«
»Wir folgen ihm als seine ergebenen Diener«, antwortete Matthäus. »Wir mußten nur die Augen zu ihm erheben, um von der Blindheit unseres Herzens geheilt zu werden, wir mußten ihn nur anhören, um von der Taubheit unseres Geistes befreit zu werden.«
»Ist er wirklich der Messias?« wollte der Herr wissen.
»Wir glauben, daß er es ist, denn wir wurden Zeugen seiner Macht«, erwiderte Simon Petrus. »Wir haben mit unseren eigenen Augen gesehen, wie er Geister aus dem Jenseits herbeirief, und auch, wie er Kranke, Schwerkranke, heilte.«
»Hat er gesagt, er sei der Messias?«
»Sein Wissen ist unermeßlich groß, aber das Geheimnis versiegelt seine Lippen«, entgegnete Simon Petrus. »Er spricht nur Worte, die für die Menschen von Nutzen sind.«
Matthäus schielte hungrig nach den Speisen auf dem Tisch, was dem Hausherrn nicht entging. »Aber bitte, greift doch zu«, forderte er sie auf. Simon Petrus hob die Arme und dankte dem Herrn für die Speise, die ihnen einer Seiner Diener in Seinem Namen anbot, dann bat er um den göttlichen Segen für das Haus und seine Bewohner, und auch für Jesus, seinen Meister, der ihm die Ehre zuteil werden ließ, die Worte der Wahrheit zu verbreiten; schließlich brach er das Brot und goß unter Matthäus’ gierigem Blick den Wein ein. Den Hausangestellten entging nicht die kleinste Einzelheit dieser Szene, und als ihre Herrin ihrerseits in die Küche herunterkam, um die Jünger zu sehen, glich die kleine Frauengruppe, die sich aus Anstand in den entferntesten Winkel der Küche zurückgezogen hatte, einer Schar von Gläubigen, die einem religiösen Ritus beiwohnen. Der Hausherr dagegen schien trotz seiner höflichen Miene weiterhin Vorbehalte zu hegen.
»Ich hätte gedacht, Jokanaan sei der Messias«, meinte er mit ruhiger Stimme, während er Platz nahm. »Mir ist zu Ohren gekommen, daß euer Meister Jesus sich gern in Gesellschaft leichter Mädchen aufhält und daß er auch den Festessen, die die Soldaten des Herodes zu seinen Ehren geben, nicht abgeneigt ist. Und ihr«, fügte er mit dem Anflug eines Lächelns hinzu, »ihr benehmt euch ganz so, wie man es von seinen Jüngern erzählt. Zum Beispiel habt ihr euch die Hände vor dem Essen nicht gewaschen.«
Simon Petrus wollte sich gerade eine Olive in den vom Vollbart fast verdeckten Mund schieben; er legte sie auf den Teller zurück. Die Frauen im Hintergrund wurden unruhig.
»Sind wir etwa schmutzig?« fragte er. »Leidet einer von uns beiden an einer Hautkrankheit? Hast du vielleicht eine Pustel in meinem Gesicht entdeckt oder den kahlen Fleck einer bösartigen Krankheit auf meinem Schädel? Oder hätten wir deine Nahrung vielleicht als geweihte Speise betrachten sollen? Befolgst du die Riten der Pharisäer, oder lebst du im Geist des >Deuteronomiums«
»Was ist denn schon dabei, sich die
Weitere Kostenlose Bücher