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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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während ich mich um mich selbst drehe, wird dann seine Flugbahn kreisförmig oder geradlinig sein?« wollte er weiter wissen.
    »Geradlinig, es sei denn, du bist ein Riese, der den Mond um die Sonne wirft«, erwiderte Thomas.
    »Ausgezeichnet!« rief der Mann mit einem plötzlichen Lächeln aus, das eine recht lückenhafte Zahnreihe zum Vorschein brachte; er rieb sich die Hände. »Ich nehme also an, daß du die Bewegungen der Steine keinen übernatürlichen Kräften, wie zum Beispiel denen der Götter, zuschreibst?«
    »Ich bin nicht eingeweiht in die göttlichen Gepflogenheiten«, entgegnete Thomas, »aber ich habe mir sagen lassen, daß sie ihre Launen haben, und ich weiß, daß nur Narren Wetten über Launen eingehen. Wer könnte zum Beispiel zu behaupten wagen, ein Gott ändere nie die Flugbahn eines Würfels?«
    Der Alte brach in schallendes Gelächter aus, was sämtliche Hautfalten an seinem Körper zum Erzittern brachte. »Bring uns Met und Wein«, wies er den Syrier an. »Und ihr, kommt mit herein«, forderte er Thomas und Natanael auf, »ihr seid meine Gäste.«
    Ein anderer Aufseher half Thomas beim Auskleiden. Natanael sah zu, wie sein Gefährte sich entblößte, er betrachtete den knotigen Körper und blickte mit ungläubigen Augen auf die behaarten Beine und den Bauch, auf den Kontrast zwischen dem sonnengebräunten Hals und der bleichen Brust und auf die traurig zwischen den weißen Schenkeln baumelnden Genitalien. Er stieß einen Seufzer aus, und ein Schwindelgefühl erfaßte ihn, als er, gegen seine eigenen Prinzipien, sich ebenfalls auszog und neben Thomas auf eine Bank setzte.
    »Ich heiße Hippolytos«, stellte sich ihr Gastgeber vor. »Ich war Kaufmann, bis ich zu Reichtum gekommen bin.«
    »Ich heiße Thomas von Didyma und mein Begleiter hier Natanael. Er stammt aus Galiläa. Bist du Grieche?«
    »Meine Mutter kam aus Griechenland. Mein Vater war Syrier, und seine Mutter war Idumäerin, in deren Adern auch ein wenig nabatäisches Blut floß. Warum interessiert dich das?«
    »Du hast von den Göttern gesprochen, daraus habe ich gefolgert, daß du kein Jude bist«, antwortete Thomas lächelnd.
    »Bist du Jude? Mir wollte nie in den Kopf gehen, weshalb die Juden so stur auf einem einzigen Gott bestehen«, entgegnete Hippolytos. »Im Grunde — da wir nun mal an göttliche Kräfte glauben müssen — ist die Vorstellung, die Fruchtbarkeit einer Frau werde von den gleichen Kräften beeinflußt wie zum Beispiel der Wind, einfach grotesk. Der Gedanke, daß ein einziger Gott für alles verantwortlich ist, birgt meiner Ansicht nach die große Gefahr, daß man der Illusion erliegt, sich selbst für einen Gott zu halten.«
    Ein Bediensteter brachte einen Krug Met und einen zweiten mit Wein herbei. Syrische Trinkgläser wurden ihnen gereicht.
    »Trinkt ein wenig Met vor dem Schwitzen«, forderte Hippolytos sie auf, »das hilft. Trink, junger Mann«, meinte er zu Natanael, »der Met weckt die irdischen Geister in einem Mann, und wie könnte man sich brüsten, ein Mann zu sein, wenn man seinen irdischen Geistern ängstlich ausweicht?«
    Thomas hatte sein Glas längst geleert, als Natanael, dem äußerst unbehaglich zumute war, sich erst die Lippen benetzte.
    »Ich fürchte, deiner Begründung nicht ganz folgen zu können«, fuhr Thomas fort. »Warum sollte die Anbetung eines einzigen Gottes die Illusion der eigenen Göttlichkeit nach sich ziehen?«
    »Das ist ganz einfach«, erwiderte Hippolytos, während er seine Beine ausstreckte und sich mit der Hand über den Bauch strich. »Wenn man mehrere männliche und weibliche Götter hat, läuft man nicht Gefahr, sich mit ihnen zu identifizieren. Denn man neigt immer dazu, den Göttern seine eigenen Züge zu verleihen. Ich zum Beispiel habe eine Vorliebe für Dionysos, nicht nur — wie ihr euch vielleicht denkt — weil er ein großer Trinker ist und ein ausschweifendes Leben zu führen scheint, sondern weil er der Verrücktheit, die im Innersten von uns allen steckt, von Zeit zu Zeit freien Lauf läßt, und ich halte es für durchaus heilsam, seine verborgensten Triebe herauszulassen. Wenn man seinen Dämonen gelegentlich freien Lauf läßt, regt man sie dazu an, ihre Kräfte zu verschwenden, danach brauchen sie eine Erholungspause und lassen einen in Frieden. Andere wiederum sind Apollo, Diana oder Venus zugetan, und sie neigen ebenfalls dazu, sich mit ihnen gleichzusetzen. Aber wenn man nur einen einzigen Gott verehrt, mit dem man vom ersten bis zum letzten

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