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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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nicht zu schwer auf ihm?«
    Thomas blieb abrupt stehen. »Hör zu«, entgegnete er heftig, »je mehr du weißt, desto schneller arbeitet dein Geist, und je schneller dein Geist arbeitet, desto besser ist dein Urteil.«
    Natanael dachte den ganzen Weg bis Hippos über diese Antwort nach. Der Abend dämmerte heran. Rötlich leuchtete der Himmel über der Stadt, und die Sterne der Denkmäler und Statuen waren in ebendieses rötliche Licht getaucht, und ihre goldenen Verzierungen funkelten... Hunderte von Fackeln ließen die Straße, in die sie einbogen, in hellem Licht erstrahlen, und ihr Schein vermischte sich mit dem Purpur der untergehenden Sonne.
    »Man hat den Eindruck, in Samoswein zu baden«, schwärmte Natanael, verzaubert von der Lichterpracht. Er sah zum erstenmal eine römische Stadt.
    »Wir riechen nach Schweiß, komm, gehen wir in die Bäder«, schlug Thomas vor.
    Sie überquerten den Platz des Hippodroms, überragt von der Zitadelle, die sich allmählich purpurn färbte. Zwei nackte Männerstatuen standen dort — die eine stellte Apollo dar, die andere Herkules — , und sie wirkten wie Menschen aus Fleisch und Blut. Natanael schoß die Schamröte ins Gesicht. Als sie bei den Bädern ankamen, schritt Thomas durch die weit ausladende Säulenhalle voran und hinein in die feuchten, duftenden Dunstschwaden, wobei sie andere, noch anstößigere Statuen passierten. Natanael folgte ihm nur widerwillig und fragte sich gerade, ob dies hier wirklich eine Badeanstalt sei und kein Palast, wenn nicht gar irgendein heidnischer Tempel, als Thomas plötzlich einen der Aufseher, einen muskelstrotzenden Syrier, herbeirief und mit spöttelnder Autorität das Wort an ihn richtete, was seinen Gefährten endgültig aus der Fassung brachte.
    »Könntest du dich wohl nach einem Gast umsehen, der sich gern von zwei gebildeten Männern unterhalten läßt, während er das Produkt seiner Ausschweifungen ausschwitzt«, bat ihn Thomas. »Wenn du einen findest — was ich nicht bezweifle, denn er wird es dir lohnen — , sag ihm, daß ich viel gereist bin, mehrere Sprachen spreche und Heilmittel gegen Gicht, müde Glieder und Haarausfall kenne, daß ich aber auch über Philosophie diskutieren, ja sie sogar lehren kann, gleich, ob es sich um Stoizismus, Epikureismus, Gnostizismus oder Buddhismus handelt, daß ich im Mithras- und Isiskult bewandert bin und auch über Astrologie Bescheid weiß. Kannst du das auch alles behalten?« fragte Thomas und wiederholte seine Frage auf syrisch, dann auf griechisch. »Wenn du diesen Gast gefunden hast, versichere ihm, daß du ihm einen bedeutenden Dienst erweist.«
    Der Syrier, ein alter, mit allen Wassern gewaschener Fuchs, runzelte zunächst die Stirn, grinste dann und machte sich auf die Suche. Natanael schnappte fassungslos nach Luft.
    »Wenn dich solche Kleinigkeiten schon aus den Sandalen kippen«, bemerkte Thomas, »wie wird es dir dann erst ergehen, wenn du dem Teufel begegnest!«
    »Wir befinden uns hier ja schon in der Hölle!« schnaufte Natanael. »Bete zu Gott, daß die Hölle so aussieht!« gab Thomas zurück. »Dies sind nur öffentliche Bäder, in denen die Menschen ihren Körper reinigen und Zerstreuung suchen. Du, wisch dir die Augen aus, dann entdeckst du sicher Leute, die uns brauchen können.«
    »Jesus würde keinen Fuß in einen solchen Ort setzen«, hielt ihm Natanael vor.
    »Er hat sogar beide Füße in diesen Ort gesetzt«, erwiderte Thomas. »Und das nicht nur einmal.«
    Natanael unterdrückte einen Ausruf der Überraschung. Der Syrier kehrte in Begleitung eines Mannes zurück, dem die faltige Haut schlotternd wie ein Leintuch um den Körper hing.
    »Das ist der Mann«, meinte der Syrier, wobei er mit dem Finger und seinem gespaltenen Bart auf Thomas zeigte.
    Der andere war drei Schritte vor ihnen stehengeblieben und stellte sich breitbeinig hin, vielleicht, um eine herausfordernde Haltung einzunehmen, vielleicht aber auch nur, um besser das Gleichgewicht halten zu können.
    »Was läßt die Steine den Berg hinunterrollen?« fragte er ganz plötzlich.
    »Der Wind oder ein Ziegenhuf, wird der Bauer dir sagen. Der Ruf unserer Mutter, der Erde, antwortet dir der Weise.«
    »Und was bringt die Steine zum Stillstand?« fragte der Mann unfreundlich weiter.
    »Der Aufprall gegen einen größeren Stein oder ihre äußere Form, wird dir ein oberflächlicher Mensch sagen; das Nachlassen ihres Schwunges, antwortet dir der Weise.«
    Der Mann nickte. »Und wenn ich einen Stein werfe,

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