Ein Mensch namens Jesus
mit Andreas und Simon Petrus befreundete Fischer, und außerdem noch zwei junge Männer, die wohl die Söhne des einen oder anderen Fischers waren.
»Sie haben Jokanaan enthauptet!« brachte Saul keuchend hervor, als die Gruppe bei Jesus angelangt war.
Er nickte nur. Jokanaans Jünger hatten sich also sofort darangemacht, die ganze Stadt von Herodes’ Missetat in Kenntnis zu setzen. Der Zimmermann fiel auf die Knie, küßte Jesus’ Hände und erging sich dann händeringend in Wehklagen über das abscheuliche Verbrechen. »Auge um Auge!« schrie Saul und schlug sich dabei auf die Brust. »Heute abend noch schlagen wir einem der Garnisonssoldaten den Kopf ab!«
Die anderen murmelten eifrig ihre Zustimmung. Jesus’ Gelassenheit jedoch verunsicherte ihren Tatendurst.
»Welches Leben könnte Jokanaans Leben aufwiegen?« fragte er. »Dann köpfen wir eben drei Soldaten!« schlug Phiabi vor.
»Und wenn ihr alle römischen Soldaten enthaupten würdet, so könntet ihr Jokanaan doch nicht wieder lebendig machen. Außerdem unterstehen die Garnisonssoldaten in Kafarnaum der römischen Oberherrschaft, während diejenigen, die Jokanaan verhafteten, Herodes unterstehen. Und was würde aus euren Frauen und Kindern in dem Blutbad, das unweigerlich die Folge eurer Rache wäre?«
»Aber... Meister!« protestierte Baba. »Sollen wir uns tatenlos unserem Schmerz ergeben? In der ganzen Stadt herrscht helles Entsetzen!«
»Glaubt ihr, daß die Umwandlung von Schmerz in mörderische Wut euch wirklich Linderung verschaffen kann?« fragte Jesus.
»Aber die Ehre!« rief Saul aus, während er aufsprang und sich mit flammendem Blick vor Jesus aufbaut. »War Jokanaan nicht dein Vorläufer? Willst du seinen Leichnam ohne ein Wort der Trauer verwesen lassen?«
Jesus verschränkte die Arme. »Jokanaan war ebenso mein Vetter wie mein Vorläufer, wie du sagst. Wenn es hier einen Menschen gibt, der für ihn eintreten müßte, dann bin ich das. Aber wenn ihr ihn so sehr geliebt habt und er euch nun so am Herzen liegt, warum seid ihr ihm dann bei seiner Verhaftung nicht zu Hilfe geeilt? Und wenn er mein Vorläufer war, zählt dann mein Wort nicht ebensoviel wie seines? Hört auf mich und gebt jeglichen Rachegedanken auf.«
Ganz offensichtlich wenig überzeugt von seinen Worten, standen sie da und starrten ihn nur an. Er hielt ihren Blicken stand. Als sie merkten, daß er seine Meinung nicht ändern würde, erklärten sie verunsichert, daß sie ihre Ältesten um Rat fragen wollten, und zogen ab. Jesus blieb allein zurück. Noch ein Problem kam da also auf ihn zu. Bald würden in allen Städten und Dörfern Galiläas, in die Jokanaans Jünger die Nachricht trugen, Aufrufe zu blutiger Rache ertönen. Welch gute Gelegenheit, Jesus herauszufordern! Eilends kehrte er in die Stadt zurück, er wollte so schnell wie möglich fort von hier, auch wenn seine eigenen Jünger noch nicht zurückgekehrt waren. Denn wenn er in Kafarnaum blieb, würde bald ein ganzer Pulk von ihm verlangen, sich an die Spitze eines Aufstandes zu stellen.
Als er vor dem Haus des Simon Petras anlangte, sah er Andreas auf der Türschwelle sitzen. Das konnte nur bedeuten, daß er sich ihnen wieder anschließen wollte. Ob auch Bartolomäus seine Meinung geändert hatte? Andreas hielt jeweils in einer Hand eine Zwiebel und ein Stück Brot, in die er abwechselnd herzhaft hineinbiß. Die Hände hatte er sich zuvor gewiß nicht gewaschen.
Sobald er Jesus erkannte, lief er ihm, immer noch mit Zwiebel und Brot in den Händen, entgegen. »Meister!« rief er und umfing Jesus mit seinen mächtigen Armen. Seit langem war das wieder die erste Geste der Zuneigung.
Jesus befreite sich aus der Umarmung. Als Andreas verlegen zu einer Erklärung ansetzen wollte, hob Jesus die Hand und sagte nur: »Du bist da, und das genügt.«
Ein glückliches Lächeln überzog das breite Gesicht des zurückgekehrten Jüngers.
»Wo ist dein Bruder? Wo sind die anderen? Wir müssen Kafarnaum so schnell wie möglich verlassen.«
»Simon Petrus und Matthäus haben sich ein wenig hingelegt«, erwiderte Andreas.
Gerade als sie das Haus betraten, um ihn zu wecken, vernahmen sie Stimmen hinter sich. Sie drehten sich um. Eine weitere kleine Gesellschaft war gekommen. Jesus ging hinaus, um mit den Leuten zu sprechen, während Andreas die Szene von der Schwelle aus verfolgte. »Friede sei mit euch«, empfing er sie.
»Meister«, sagte ein junger, pausbäckiger Mann, »die Heiden müssen für Jokanaans Blut
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