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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Da war zum Beispiel ein dreijähriges Kind, das unter einer eitrigen Geschwulst im Ohr litt. Er empfahl, eine Handvoll Senfkörner zu mahlen und sie über Nacht zusammen mit Granatapfelblüten in Leinöl einzulegen, dann einen Docht mit dieser Lösung zu bestreichen und ihn in das Ohr des Kindes einzuführen, bis die Geschwulst aufplatzte. Ein junger Mann mit einem Geschwür am Kopf kam zu ihm. Ein impotenter Greis. Eine unfruchtbare Frau. Dem ersten verordnete er Honigkompressen, dem zweiten kalte Bäder. Und der Frau gab er den Rat, das nächstbeste Waisenkind an Kindes Statt anzunehmen. Allmählich wurde er ungeduldig, und Thomas bemerkte es.
    »Ein Messias ist kein Arzt für eure körperlichen Leiden«, sagte Thomas zu den Leuten, »sondern für die Geschwüre eurer Seelen!«
    Da schlossen sich Judas und der Zelot den anderen an, um sich schützend um ihren Meister zu stellen. Taumelnd ließ sich Jesus nieder, streckte sich auf dem Boden aus und schloß die Augen. Einige kamen, um ihn schlafen zu sehen.
    »Seht nur, er schläft genau wie wir!« rief ein junger Mann in freudigem Erstaunen aus.
    Er schlief also; ja, was glaubten sie denn? Er schlief und litt, kam seinen natürlichen Bedürfnissen nach und lachte; und manchmal langweilte er sich auch. So wie ihn gerade eben die ausgesprochene Sinnlosigkeit seines Tuns anödete. Hunger, Lüsternheit, Raffgier, Angst und Zorn waren die Antriebskräfte, von denen die Menschen sich leiten ließen, und wenn sie es bemerkten - vorausgesetzt, es blieb ihnen noch genügend Zeit, um über Gut und Schlecht nachzudenken — , dann brauchten sie einfache und erprobte Maßregeln, die eisernen Klingen gleich, das, was es zu tun galt, von dem, was zu unterlassen war, trennten. Sie machten sich keine Gedanken über diese Regeln, sondern folgten ihnen blindlings. Sobald man Regeln anzweifelt, sind es schließlich keine Regeln mehr! So wurden aus Leitsätzen Worte, Zeichen, Töne. Wenn man aber versuchte, ihre eigene, vom Verstand geleitete Urteilskraft zu wecken, waren sie verloren. Was also tun? Neue Worte? Neue Regeln?
    Er blieb nicht lange liegen.
    Plötzlicher Lärm und Stimmengewirr rissen ihn aus seinen Gedanken. Thomas, Simon Petrus und Johannes hatten sich mit einem halben Dutzend Männer angelegt, und Jesus begriff sofort den Grund der Auseinandersetzung: Es ging um Jokanaan. Wortfetzen drangen an sein Ohr, obwohl der Wind in die andere Richtung blies und die Jünger versuchten, die aufgebrachten Männer von ihm fernzuhalten. »...Wir wären schlimmer als die Heiden, wenn wir den Tod dieses frommen Mannes einfach hinnähmen, ohne daß... Zweimal haben wir eine Schar Abgesandter zu ihm geschickt, aber er wollte nicht... Wenn er der Messias ist...« Jähe Wut überkam Jesus, er stand auf, um sich diese Unbelehrbaren vorzunehmen. So wie sie sich benahmen, war es mit ihren Kampfandrohungen nicht weit her.
    »Worum geht es?« fragte er mit hörbarem Überdruß in der Stimme. »Warum willst du Jokanaan nicht rächen?« hielt ihm ein alter Mann vor.
    »Jokanaan gehörte dem Reich des Göttlichen an. In diesem Reich gibt es keine Rache. Folglich kann er nicht gerächt werden.«
    »Du hast wohl die Bücher nicht gelesen!« rief der andere. »Hat Gott die Treulosen nicht mit Seiner Rache verfolgt? Hat Er nicht Feuer über die von Ihm verfluchten Städte geschickt? Antworte mir!«
    »Gott ist größer als alles, was du dir vorstellen kannst, und keine Rache kann eine Beleidigung gegen Gott aufwiegen.«
    »Du verhöhnst die Bücher!« schrie der Mann außer sich vor Wut. »Du bist nicht der Messias! Du bist nur einer dieser vielen Magier!«
    »Ich verhöhne nicht die Bücher, sondern lediglich jene Menschen, die nur Wörter darin lesen. Dann rächt doch Jokanaan mit einem Blutbad unter den römischen Soldaten, aber tragt auch die Verantwortung dafür, wenn das Blut eurer Frauen und Kinder fließt.«
    »Vielleicht hat er recht«, meinte einer von ihnen.
    »Wenn er recht hat, haben wir keine Ehre!« schrie der Mann. »Wenn du deine Ehre im Blutvergießen siehst, alter Mann«, stieß Jesus mit grimmig zusammengebissenen Zähnen hervor, »dann ist sie keinen Deut mehr wert als die eines Schlächters!«
    »Er hat recht«, pflichtete ihm ein Umstehender bei.
    »Jokanaan wurde von Herodes umgebracht«, fuhr Jesus fort, »was also haben die Römer mit eurer Rache zu tun?«
    »O Israel!« klagte der Mann. »Grenzenlos ist deine Schmach!« Einigen aus der Gruppe gelang es schließlich, ihn

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