Ein Mensch namens Jesus
taufen zu lassen, und natürlich hat Thomas das auch getan. Wie viele es waren, wird er nicht sagen.«
»Wie viele?« erkundigte sich Jesus.
»Zu wenig«, entgegnete Thomas. »Denk an all die Römer, die ich nicht getauft habe!«
»Bei mir waren es einundsechzig!« prahlte Matthäus, was ihm von Simon Petrus auch gleich einen unsanften Stoß mit dem Ellbogen einbrachte.
»Heute sind aber eine Menge Fischer auf dem Wasser«, bemerkte Johannes, der am Heck saß.
»Tatsächlich, die reinste Flotte«, pflichtete ihm Matthäus bei.
»So viele habe ich hier noch nie gesehen«, meinte Simon Petrus. Jesus schaute besorgt zurück. Unmöglich konnten das alles Fischer sein, dazu waren es zu viele Boote. Sie folgten ihm. Einige wendigere setzen sogar zum Überholen an. Kinder und alte Frauen, junge Männer und Mädchen, Gesunde und Kranke, halb Kafarnaum begab sich nach Betsaida Julias. Als er an Land ging, wurde er bereits von Menschenmassen empfangen, die ihn kaum vorwärts kommen ließen. Die Leute riefen ihn an, und da sie alle auf einmal redeten, versuchte jeder den anderen zu überschreien. Ein einziges Durcheinander. Trotzdem bahnte er sich einen Weg, und sie folgten ihm, heftig gestikulierend und ständig bemüht, seinen Mantelsaum zu erwischen. Ein Blinder fiel und wurde von der Menge fast niedergetrampelt. Jesus half ihm auf und untersuchte ihn. Schon wieder einer, dessen Blindheit auf eitrige und verkrustete Sekrete zurückzuführen war; er heilte ihn, indem er ihm lange die Augen auswusch. Und wie die Leute schrien, als der Mann »Licht!« rief! Man bedrängte Jesus so sehr von allen Seiten, daß er fast selbst das Gleichgewicht verloren hätte. Plötzlich rammte ihm jemand den Kopf in den Leib. Eine alte Frau war es, der ein rheumatisches Leiden den Oberkörper tief gebeugt hatte. Er wollte ihr helfen, sich auf den Boden zu setzen, aber sie fiel um und lag in grotesk verrenkter Haltung da. Er umfing ihren Leib von hinten und bat Simon Petrus, an ihren Beinen zu ziehen. Sie zogen in entgegengesetzte Richtungen. Die Frau brüllte auf.
»Das ist der Dämon, der jetzt aus ihrem Körper fährt«, bemerkte ein Schaulustiger.
»Halte du dich lieber ein wenig abseits, daß er nicht gleich in deinen einfährt«, riet ein anderer.
Die Leute wichen zurück. Mit einem Ruck richtete Jesus den Oberkörper der Frau auf. Man vernahm ein Knacken, dann verlor die Frau das Bewußtsein. Als er sie nun wieder zurücksinken ließ, streckte sie sich der Länge nach auf dem Boden aus, sicherlich zum erstenmal seit langer Zeit. Etwas oberhalb der Augen drückte ihr Jesus die Daumen in die Augenhöhlen. Sie schrie auf, tot war sie also nicht. Simon Petrus stellte sie wieder auf die Beine. Zunächst stand sie in ihrer gewohnt gebückten Haltung da. Die Menge hielt den Atem an. Dann richtete sich die alte Frau langsam auf, wobei sie ihre Hände ins Kreuz drückte. Fassungslos staunend blickte sie sich um.
»Lobet den Herrn! Seht die Macht unseres Meisters Jesus!« schrie eine Frau.
Sie klatschten Beifall, schrien, stampften mit den Füßen auf den Boden, weinten. So verging eine Stunde, während Jesus noch einige andere heilte.
»Ich bin erschöpft«, sagte er dann. »Laßt uns essen.«
Er entdeckte Simon, den Zeloten, und Judas Iskariot in der Menge. Waren sie mit den drei anderen in einem Boot gekommen? Und warum begrüßten sie ihn nicht? Er musterte sie; kühl erwiderten sie seinen Blick. Sie denken vermutlich, ich sei nichts als ein Wunderheiler, dachte er. Judas’ Blick hatte ihn auf unangenehme Weise berührt. Kalt und finster war er gewesen.
Die Menge erklomm den Hügel, der sich unweit vom Strand erhob, und die kleine, ihn umringende Jüngerschar verschaffte sich energisch Ellbogenfreiheit, um ihn vor dem Ansturm all dieser Leute zu schützen, so daß er schließlich ohne allzu große Schwierigkeiten am Gipfel anlangte.
»Schau nur«, sagte Thomas, »das sind mehr als tausend Menschen.« Jesus blickte den Hügel hinab auf eine Unzahl von Köpfen, kahle und behaarte, unbedeckte und verschleierte.
»Begreifst du jetzt, daß Galiläa erobert ist?« fragte Thomas. »Erobert?« fragte Jesus zurück.
»Warte nur, bis wir erst nach Judäa kommen!« rief Johannes. Von hier oben sah man bis hinunter zu den blauen Dunstschwaden über dem Seeufer einen blutroten Blütenteppich zwischen den einzelnen Grüppchen hervorleuchten, die sich gebildet hatten und sich nun ringsumher niederließen. Warum nur waren all diese Menschen
Weitere Kostenlose Bücher