Ein Mensch namens Jesus
bezahlen.«
»Niemand kann in seinem eigenen Namen Gericht halten, und schon gar nicht, um den Tod eines frommen Mannes zu rächen«, erwiderte er.
»Verleugnest du Jokanaan?« fragte der junge Mann, der offensichtlich der Wortführer der Schar war.
»Ich habe euch eben schon gesagt, daß das im Namen des Guten verübte Böse dem Guten schadet«, entgegnete Jesus. »Wenn ein Mensch für Jokanaans Tod zur Rechenschaft gezogen werden muß, dann einzig und allein der, der seinen Tod verschuldet hat. Könnt ihr diesem Mann etwas anhaben? Nein. Ihr schlagt also vor, einen Unschuldigen an seiner Stelle zu opfern. Und das wäre reiner Mord.«
»Es gibt keinen unschuldigen Heiden!« rief der junge Mann, und die anderen pflichteten ihm lautstark bei.
»Ruft euch die Worte eures Herrn ins Gedächtnis!« gab Jesus mit unverhohlenem Zorn in der Stimme zurück. »Wenn ein Mann der Feind eines anderen ist, dann mag er ihn angreifen und ihm einen tödlichen Stoß versetzen. Zeigt kein Erbarmen, aber reinigt Israel von der Sünde unschuldig vergossenen Blutes, so spricht der Herr. Aber niemals hat Er gesagt, daß ihr einen Angehörigen seines Stammes opfern sollt.« Enttäuschung zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab.
»Und denkt daran, daß nicht nur ihr Schwerter in Händen haltet. Auf die Ermordung eines Römers würden unweigerlich weitere Racheakte folgen, eure Hoffnungen gingen nicht in Erfüllung, sondern ihr müßtet Jokanaans Blut mit noch mehr jüdischem Blut bezahlen. Ist das euer Ziel? Ich habe euch ebenfalls gesagt, daß die Römer nicht für Jokanaans Tod verantwortlich sind. Herodes hat ihn umbringen lassen. Und nun geht und denkt über meine Worte nach.«
Verstimmt zogen sie ab. Simon Petrus und Matthäus, die inzwischen aufgewacht waren, beobachteten die Szene durch das Fenster.
»Nun versteht ihr, warum wir Kafarnaum sofort verlassen müssen«, sagte Jesus zu seinen Jüngern. »Wißt ihr, wo die anderen sind?«
»Vor einer Stunde hat mein ältester Sohn Thomas und Natanael gesehen. Sie gingen ein Bad nehmen und wollten sich dann ein wenig stärken«, antwortete Andreas.
»Schicke deinen Sohn los, und laß ihnen ausrichten, sie sollen so bald wie möglich zu uns kommen, und zwar zum Hafen, an den Anlegeplatz deines Bootes. Und den anderen hinterläßt du eine Nachricht, daß sie ebenfalls baldmöglichst in Betsaida Julias zu uns stoßen sollen.«
Als die sechs Männer am Hafen eintrafen, stellte sich heraus, daß Johannes mit seinem Bruder Jakobus wie auch Thaddäus und Jakobus, der Sohn des Alphäus, bereits zurück waren, und zwar alle aus demselben Grund: In vier Tagen war das Passah-Fest, und sie wollten es gemeinsam mit Jesus feiern. Es fehlten also nur noch Judas, Philippus, Judas Iskariot, Simon der Zelot und Bartolomäus, der, wie Andreas eifrig versicherte, seinen Ausbruch gegen Jesus inzwischen heftig bereue. Simon Petrus meinte, sie kämen vielleicht noch gegen Abend, und es wäre wohl besser, auf sie zu warten, aber Jesus wollte, daß sofort die Segel gesetzt wurden, und so gingen sie an Bord. Es war ein windiger Tag, und das Boot kam rasch in Richtung Osten voran. »Werden wir das Passah-Fest über in Betsaida Julias bleiben?« wollte Matthäus wissen.
»Möglicherweise«, antwortete Jesus. »Ich will nicht zehnmal am Tag mit der Bitte bedrängt werden, einen Aufstand zu organisieren, um Jokanaans Tod zu rächen.«
»Warum glaubst du, daß die Bewohner von Betsaida dies nicht von dir verlangen werden?«
»Weil sie gar nicht die Gelegenheit dazu haben werden. Gleich nach unserer Ankunft ziehen wir uns in die Berge zurück.«
Eine Zeitlang segelten sie schweigend dahin. Die Dörfer an der Küste verschmolzen in der Mittagshitze zu einer Kette aus flirrenden Pünktchen. Wieder einmal, so ging es Jesus durch den Kopf, mußte er der Rolle entfliehen, in die man ihn zu zwängen suchte. Einige Jünger schliefen, andere dösten gedankenverloren vor sich hin. Nur Thomas erwiderte seinen Blick mit dem Anflug eines Lächelns.
»Nun denn«, meinte Thomas, »willst du nicht wissen, was sich inzwischen bei uns getan hat?«
»Was hat sich denn getan?«
»Ich habe einen alten Mann getauft und Natanael ein jungvermähltes Paar.«
»Du hast nur einen einzigen Mann getauft?« fragte Simon Petrus ungläubig.
»Er will eigentlich sagen, daß er nur einen einzigen davon überzeugt hat, sich taufen zu lassen«, berichtigte Natanael. »Viele andere sind von sich aus gekommen, um sich in Jesus’ Namen
Weitere Kostenlose Bücher