Ein Mensch namens Jesus
oberste Überzeugung meines edlen Vaters, Herodes’ des Großen, des ganz Großen? Hm, Manassah? Ich werde für dich antworten: Wenn man ihnen nicht das fanatische Getue um ihr Judentum austreibt und ihre fixe Idee von Propheten, Leuten also, die sich in so verschwommenen, jedoch immer gallig-bösen Begriffen ausdrücken, daß man sie ganz nach Belieben auslegen kann, und wenn man ihnen nicht ihre pedantischen Riten nimmt und nicht ihre ewigen Kategorisierungen und ihre Abneigung gegen alles, was nicht jüdisch ist, abgewöhnt, dann sind diese Juden dem Untergang geweiht und zur Knechtschaft verurteilt. Na?«
»Ja, und?« fragte Herodias schroff zurück.
»Ja, seht ihr denn nicht, daß Herodes der Große und Jesus dasselbe Ziel verfolgen? Herodes der Große zwang die Juden, breite Prachtstraßen zu benutzen und in sauberen, solide gebauten Häusern zu leben, statt in den dunklen Gassen und Rattenlöchern, in denen sie bislang immer gehaust hatten. Er ließ des Nachts die Straßen beleuchten, um die Engel und Dämonen zu verscheuchen, die sie in allen dunklen Ecken zu sehen glaubten. Er hat dem Handel zu Aufschwung verholfen, um sie zur Einsicht zu zwingen, daß es auch um sie eine Welt gab und daß die Heiden nicht weniger intelligent, rechtschaffen oder gesittet sind als sie selbst. Er ließ heidnische Tempel bauen, um sie mit anderen Glaubensüberzeugungen vertraut zu machen, er ließ große freie Plätze schaffen, um sie zu zwingen, reinere Luft zu atmen als die weihrauchgeschwängerte und von dem Gestank verbrannten Blutes verpestete Luft in den Synagogen, er...«
»... hat den Tempel Salomons neu erbaut«, fiel Manassah ein.
»Ah, wie klug das doch von ihm war! Aber er hat ihn im römischen Stil gebaut und die stinkenden Priester und Schriftgelehrten verjagt, denen es in ihrem verbissenen Festhalten an der Vergangenheit nur darum ging, die Juden unter der Fuchtel ihrer Rechtsprechung zu behalten!« Schwärmerisch hob Herodes die Arme.
»Er hat auch fünfundvierzig Mitglieder des Hohen Rates ausgerottet«, bemerkte Joschua.
»Ja, genau! Fünfundvierzig Eselsköpfe weniger! Ein großartiger Entschluß!«
»Und die Rabbiner, die den goldenen Adler vom Tempeldach heruntergeschlagen hatten, hat er bei lebendigem Leib verbrennen lassen«, fügte Manassah hinzu, um nicht hintanzustehen.
»Bei lebendigem Leib!« schwärmte Herodes. »Was für ein Mann! Jetzt sind diese Leute alle klüger geworden. Genau das ist es, wovon dieser Jesus träumt. Ich kann euch sagen: Wenn Jesus früher gelebt hätte, mein Vater hätte einen Statthalter aus ihm gemacht!« Manassah mußte angesichts dieser Übertreibung lächeln. Joschua war wie üblich schwer beeindruckt. Herodias dagegen zuckte nur mit den Achseln. »Was soll das ganze schöne Gerede? Jesus ist ein Gefolgsmann des Jokanaan, der uns bekanntlich so lange gereizt und mit Schmutz beworfen hat, bis es ihn den Kopf gekostet hat.«
»Frau!« versetzte Herodes kühl. »Laß dir eines gesagt sein: Diesmal, bei Jesus, werde ich mich nicht in der Art beeinflussen lassen, wie es dir bei Jokanaan gelungen ist.«
»Was gedenkst du zu tun?« fragte Herodias, nachdem sie erst einmal hatte schlucken müssen.
»Ich werde mich seiner Verhaftung entgegenstellen.«
Herodias, Manassah und Joschua sahen ihn verblüfft an. Sogar die Amme hörte auf, ihre runzligen Füße zu massieren.
»Ich muß dich untertänigst darauf aufmerksam machen, daß Jesus jetzt der Rechtsprechung des Pilatus untersteht«, sagte schließlich Manassah, »und daß es womöglich unklug wäre, sich bei Pilatus für ihn zu verwenden, nachdem du den Statthalter zuvor um seine Verhaftung angegangen bist.«
»Papperlapapp!« winkte Herodes ab. »Nur Dumme ändern nie ihre Meinung. Pilatus war ohnedies gegen eine Verhaftung von Jesus. Außerdem habe ich erfahren, daß seine Frau Procula Jesus kennenlernen möchte. Der Prokurator kann nur froh sein, jemanden auf seiner Seite zu finden, der noch dazu ein Tetrarch ist.«
»Wir werden ja sehen«, meinte Manassah gedehnt.
»Ich für mein Teil habe schon genug gesehen«, sagte Herodias und erhob sich, um den Raum zu verlassen. »Amme, komm!«
Allein geblieben mit seinen Höflingen, nickte Herodes mehrmals bedächtig mit dem Kopf. »Dieser Jesus könnte ein Verbündeter werden, wenn man nur richtig mit ihm umgeht«, murmelte er. »Wenn man ihm nun Judäa gäbe... Rom gegenüber ließe sich das durchaus plausibel darlegen.«
Der Hohepriester Kaiphas mühte sich,
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