Ein Mensch namens Jesus
hat, und es innerhalb von drei Tagen wiederaufzubauen. Reicht uns das nicht?«
Die Gelehrten nickten.
»Auch dir, Levi?«
»Ich hätte es vorgezogen, wenn der Beschuldigte auf Anhieb zugegeben hätte, daß er der Messias und zugleich der Sohn des Allerhöchsten ist«, antwortete Levi.
»Was hätte das geändert?« wollte Gedalja wissen.
»Ich hätte dann an meinen Vorbehalten gegenüber seinem Anspruch festhalten können. Doch ich kann mir schwerlich einen Messias vorstellen, der es ableugnet, einer zu sein.«
»Das ist es! Das ist ja die Frage!« rief da eine Stimme.
»Was ist die Frage, Nikodemus?« wollte Kaiphas wissen.
Nikodemus erhob sich. »Einige meiner ehrwürdigen Amtsbrüder finden, daß es Widersprüche gibt zwischen den Aussagen des Beschuldigten und den Berichten, die über ihn vorliegen. So denke ich nicht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß der Messias keinen Anspruch auf diese seine Eigenschaft geltend machen will, da sie ja geheim ist, ebenso wie niemals ein Prophet von sich behauptet hat, er sei ein Prophet. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wie sich ein Messias verhalten müßte und wie nicht, weil wir schließlich noch nie einen zu Gesicht bekommen haben. Ich kann mir sehr wohl einen Messias vorstellen, der sich wenn auch nicht seiner Wesenheit, so doch sehr wohl seiner himmlischen Bande und seiner Fähigkeiten bewußt ist. Ich beantrage, daß wir auf den von Gedalja zuletzt genannten Anklagepunkt zurückkommen, dem zufolge Jesus der Messias ist, und daß wir im Zweifelsfall zu seinen Gunsten entscheiden, denn ich bitte euch inständig zu bedenken, welch verheerender Irrtum es doch wäre, wenn wir einen Messias vor Gericht verurteilen würden!«
Jesus sah den Redner, der sich soeben wieder gesetzt hatte und auf dessen Worte langes Schweigen folgte, nachdenklich an. Mittlerweile drang das volle Tageslicht durch die Fenster.
»Ich wäre geneigt, diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen«, sagte schließlich Gedalja, »wäre da nicht die Persönlichkeit des Angeklagten, aus der sich die übrigen Anklagepunkte ergeben. Denn hier steht ein Mann, der innerhalb weniger Jahre haarsträubendste Beweise eben gegen seine eigene Behauptung, er sei der Messias, geliefert hat. Er pflegt Umgang mit zweifelhaften Frauen, respektiert den Sabbat nicht und ruft ständig Skandale hervor. Kurz, dieser Mann hat sich eher wie ein Taugenichts verhalten denn wie ein gesitteter Bürger, und schon gar nicht wie einer, dem die erhabene Würde eines Messias zuteil wurde. Ich frage euch alle: Ist das hier ein Mann, dem es gebührt, Hoherpriester und Erbe des Thrones Davids zu werden? Sind wir denn so tief gefallen, daß wir es in Betracht ziehen können, das oberste Amt im Staat einem Magier zu überlassen, den man eigentlich aus der Gesellschaft verstoßen müßte?« Gedalja ließ den Widerhall seiner Worte verklingen, um sich dann besonders eindringlich an den gesamten Sanhedrin zu wenden: »Denn, meine Väter und Brüder, ich bitte euch zu bedenken, welch große Verantwortung ihr mit dem Urteil tragt, das ihr zu fällen habt. Entweder der Angeklagte ist der Messias und kann in diesem Fall seinen Anspruch auf göttliche Abstammung geltend machen: Dann muß ihm der Hohepriester noch hier und in dieser Stunde seinen Sitz und die Insignien seines Amtes überlassen. Ferner dürftet auch ihr euch als umgehend entlassen betrachten, da ihr ja als unwürdig erachtet werdet für die Aufgabe, Hüter dieses Gesetzes zu sein, das ihr habt verkommen lassen. Oder aber er ist nicht der Messias und seine Behauptungen von wegen göttlicher Abstammung sind gottlose Phantastereien: Dann muß die Zweideutigkeit, die bereits viel zu lange den Gang dieser Angelegenheit bestimmt hat, auf exemplarische Art und Weise aus dem Weg geräumt werden. Wir dürfen nicht mehr zulassen, daß ganze Vagabundenbanden weiterhin landauf, landab herumposaunen, Jesus sei der Messias und die ehrbarsten Institutionen Israels — also der Tempel mitsamt dieser Versammlung — seien nichts als ein einziges Natterngezücht. Denn all jene Verleumder handeln nur nach Anweisung dieses Mannes, der hier vor euch steht.«
Gedalja wies mit der Hand auf Jesus. Seine Augen sprühten Blitze. Selbst Kaiphas war mehr als beeindruckt von seiner Redegewandtheit.
»Welche Strafe schlägst du also vor?« fragte Josef von Arimathäa. »Den Tod«, antwortete Gedalja.
Jesus wandte nicht einmal den Kopf.
»Würde nicht die Geißelung genügen, um den Angeklagten
Weitere Kostenlose Bücher