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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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laut an, daß die auf den Kranzgesimsen hockenden Tauben vor Schreck verwirrt durcheinanderflatterten. Zimbeln und Triangel stimmten ins Konzert ein, und am Ende jedes Verses erschallten wieder die Trompeten.
    Lange Zeit stand Jesus wie gebannt. Dann wandte er sich dem Ausgang zu. Eine Hand legte sich auf seine Schulter; sie gehörte Jonathan.
    »Die Zeremonie beginnt doch gerade erst! Warum gehst du?«
    »Hier kann ich nicht beten. Ich bin doch gekommen, um zu beten. Ich werde mir eine kleine Synagoge suchen.« Jesus begann, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Jonathan folgte ihm. Der Andrang war so groß, daß es ein oder zwei Stunden später sicher unmöglich war, in den Tempel zu gelangen. Die beiden jungen Leute verließen den Tempelbezirk. Ohne viele Worte zu wechseln, passierten sie das Essener-Tor und befanden sich nun im Hinnom-Tal. Hier waren viel weniger Leute, allerdings immer noch genügend Pilger, um die Gegenwart von fliegenden Händlern zu rechtfertigen. Jonathan kaufte einem von ihnen zwei Becher Tamarindensaft und zwei Honigfladen ab. Im Handumdrehen war beides in die hungrigen Mägen gewandert.
    »Warum folgst du mir auf Schritt und Tritt?« fragte Jesus und sah Jonathan forschend an.
    »Vielleicht, weil ich nichts anderes zu tun habe.«
    »Wenn du mich nicht getroffen hättest, wärst du im Tempel geblieben.«
    »Ich war schon oft im Tempel«, antwortete Jonathan widerwillig. Sie kamen an Gräbern vorbei, von denen manche in den Fels geschlagen waren. Es roch nach Salbei.
    Von Zeit zu Zeit warf Jesus einen Blick auf seinen Begleiter, der die auf ihm lastende Frage wohl spüren mußte, auch wenn er die Augen auf den Boden geheftet hielt, während sie dahinschlenderten.
    »Ich nehme an, du verstehst mich nicht«, rückte Jonathan endlich heraus.
    Jesus war verblüfft: ein Erwachsener, dem etwas an der Anerkennung eines Halbwüchsigen lag. Er schwieg.
    »Ich meine, du verstehst nicht, daß auch ich den Tempel verlassen habe.«
    »Ich hatte den Eindruck, nachdem du ihn ja viel besser kennst als ich, müßtest du dich dort erheblich wohler fühlen.«
    »Das ist ja der springende Punkt. Ich kenne ihn zu gut, bis zum Überdruß.«
    Wieder sah Jesus erstaunt auf. »Überdruß« bedeutete in seinen Augen Ärger, und verärgert hatte Jonathan bei den Vorgängen im Tempel nicht gerade gewirkt.
    »Weißt du, ich habe eigentlich niemanden, mit dem ich darüber reden könnte«, sagte Jonathan mit einem fragenden Blick.
    »Du hast also keine Geschwister oder Freunde?«
    Sie blieben stehen und setzten sich.
    »Doch, aber... Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst: Für sie, für sie alle«, erklärte er mit bedeutungsvoller Miene, »gibt es nur ihre Geschäfte, den Tempel oder den Königspalast.« Er wirkte ratlos und setzte hinzu: »Am liebsten gleich alle drei auf einmal.«
    Zwei Häher flogen über sie hinweg.
    »Was macht dein Vater?« fragte Jesus.
    »Er ist Kaufmann. Ein reicher Kaufmann. Und er ist Mitglied des Sanhedrin.«
    Vor ihnen, auf der gegenüberliegenden Seite des Tales, lag Jerusalem ins Weiß und Gold des vollen Sonnenlichts getaucht.
    »Und was macht dein Vater?« fragte Jonathan.
    »Er ist Rabbiner und doch kein Rabbiner.«
    Jonathan mußte lachen. »Wie kann man denn zwei gegensätzliche Dinge gleichzeitig sein?«
    »Er ist Rabbiner, lehnt es aber strikt ab, daß man ihn als solchen ansieht, und er arbeitet als Zimmermann. Er ist schon sehr alt.«
    »Warum will er nicht als Rabbiner betrachtet werden?«
    »Früher einmal war er mit dem Tempel eng verbunden. Er mußte fliehen. Wir sind nach Ägypten gegangen und wieder zurückgekehrt. Das wär’s.«
    »Das wär’s!« wiederholte Jonathan lachend. »So viele Dramen in zwei Worten!«
    »Und was willst du werden? Kaufmann, Rabbiner oder Höfling, oder auch alle drei zugleich?« fragte Jesus.
    Jonathan lag im Gras und schüttelte sich vor Lachen.
    »Du hast in einer Viertelstunde mehr gelacht als mein Vater, seit ich ihn kenne«, meinte Jesus, »und doch bist du trauriger als er.«
    »Warum sollte ich deiner Meinung nach traurig sein?«
    »Weil du in dieser verdorbenen Stadt lebst.«
    »Woher willst du wissen, daß sie verdorben ist?«
    »Weil mein Vater das gesagt hat. Und er kennt sie.«
    Jonathan strich mit der flachen Hand über das Gras. »Weißt du, wo du deine Eltern wiederfinden kannst?«
    »Bei meinem... bei meinem Bruder Simon, in der Straße der Schreiber.«
    »Ach, dein Bruder wohnt in der Straße der Schreiber? Simon, wie

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