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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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konnte man hier nur seinen menschlichen Bedürfnissen abhelfen? Immer dringender wurde die Frage, bis er sich in seiner Not schließlich an einen Händler wandte. Dieser zeigte auf ein nur wenige Schritte entferntes Gebäude, vor dem man bereits Schlange stand.
    »Die Bäder liegen gleich dahinter«, fügte er mit einem vielsagenden Blick auf die staubbedeckten Füße des Jungen hinzu.
    Jesus bemühte sich zu beten, doch es wollte ihm nicht gelingen, sich zu konzentrieren. Was für eine Art zu leben war das hier! Er versuchte, sich mehr schlecht als recht am Brunnen rasch das Gesicht zu waschen, und aß dann eine Feige, dazu ein wenig Brot. Er würde sich wohl oder übel allmählich doch nach der Straße der Schreiber durchfragen müssen, denn sein Proviant ging zur Neige, und er wollte sich wieder den Eltern anschließen.
    Zunächst aber mußte er den Tempel sehen. Josefs Verwünschungen und Mahnungen zum Trotz wollte er dieses Baudenkmal doch wenigstens einmal kennengelernt haben. Was sollte er den Lehrlingen in Kafamaum denn sagen, wenn er ihnen den Tempel von Jerusalem nicht in allen Einzelheiten beschreiben konnte? Er beschleunigte seine Schritte, um dem großen Andrang zuvorzukommen. Im Gehen wurde ihm erst klar, daß sich der Königspalast, vor dem er geschlafen hatte, genau in entgegengesetzter Richtung vom Tempel befand.
    Die Sonne war aufgegangen, und nun schwärmten auch die Fliegen wieder aus. Fensterläden klapperten, Mägde gossen Schmutzwasser in den Rinnstein vor den Häusern, aufgescheuchte Hähne krähten in den Höfen, Kinder standen, oft nur mit einer Sandale am Fuß, gähnend in den Haustüren. Auf dem Weg, der zum Tempel führte, begann es von Menschen zu wimmeln. Es blieb Jesus nichts anderes übrig, als dem Strom zu folgen und sich hie und da zwischen den Pilgern, die ihm entschieden zu langsam gingen, hindurchzuschmuggeln. Dabei stolperte er einmal über den Stock eines alten Mannes, und er wäre der Länge nach hingefallen, hätte ihn nicht eine kräftige Hand aufgefangen. Die Hand gehörte einem bärtigen jungen Mann, der ihn tadelnd ansah.
    »Warum hast du es denn so eilig?«
    »Ich will zum Tempel«, antwortete Jesus eingeschüchtert.
    »Da wollen wir alle hin.«
    »Ja, aber gestern abend bin ich nicht einmal bis zum Tor gekommen. Und heute habe ich mir fest vorgenommen, diesen Tempel zu besichtigen.«
    »Wo kommst du her?«
    »Aus Kafarnaum.«
    »Und wie heißt du?«
    »Jesus, Sohn des Josef. Und du?« erwiderte Jesus, wieder etwas mutiger.
    »Jonathan. Weshalb willst du unbedingt den Tempel besichtigen?«
    »Aber... Wir sind doch deswegen hergekommen!«
    »Du hast also die Reise gemacht, um ein Baudenkmal zu sehen? Ja, was glaubst du denn, was das hier ist? Die ägyptischen Pyramiden?« Der Spott war nicht zu überhören.
    »Nein, ich weiß, was der Tempel ist: Er ist das größte Heiligtum der Juden.«
    »Dieser Tempel ist also sehr alt?« fragte Jonathan.
    »Du weißt sehr wohl, daß er es nicht ist«, erwiderte Jesus mit einem Anflug von Ironie. »Es ist nicht einmal fünfzig Jahre her, daß er durch Herodes den Großen erbaut worden ist, als Ersatz für den Tempel Salomons.«
    Sie hatten den Südostteil des Tempelbezirks erreicht, von wo aus zwei Stufenaufgänge im rechten Winkel auseinanderliefen. Der kürzere, südliche, führte quer über eine Brücke zum Tor der Pracht, auch Königstor genannt, auf dem anderen, östlichen, gelangte man zu den Hulda-Toren.
    »Dieser Herodes ist also der Nachfolger von Salomon«, sagte Jonathan.
    »Ich habe nichts dagegen, daß du mich hier einer Art Prüfung unterziehst«, meinte Jesus in gleichgültigem Ton, »aber ich kann mir nicht vorstellen, daß deine Frage, wenn du ein richtiger Jude bist, irgendeinen Sinn haben soll. Selbstverständlich war Herodes nicht der Thronerbe Salomons. Trotzdem gibt es den Tempel, und ich werde jetzt zum Tor der Pracht gehen.« Das sagte er in einem Ton, der dem anderen unmißverständlich bedeutete, daß er entlassen sei, was dieser mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm.
    »Weißt du«, sagte Jonathan, »daß nicht einmal die Hälfte der Besucher, die du hier siehst und noch sehen wirst, so viel über den Tempel wissen wie du?«
    »Schade«, sagte Jesus, »aber du als Sohn eines reichen Schriftgelehrten aus Judäa, du wenigstens weißt Bescheid.«
    »Woher weißt du, wer ich bin?« fragte Jonathan verdutzt.
    »Die Ironie ist eine Tochter Judäas. Ihr habt hier viel mit Griechen zu tun. Und die Schriftgelehrten

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