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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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eure Verachtung uns Frauen gegenüber. Ihr glaubt, daß euer Gott für euch Partei ergriffen und sich gegen alle anderen Stämme und Völker gestellt hat, so wie Er sich auch bei eurem Auszug aus Ägypten auf eure Seite stellte und die Sieben Plagen über das Land schickte; kaum aber seid ihr besiegt, versiegt euer Glaube an Ihn. Ihr habt Ihn euch angeeignet, und damit aus Ihm schlicht und einfach einen unsterblichen Juden gemacht und Ihn Seiner Erhabenheit beraubt.« Mit welcher Leidenschaft sie das sagte! Der ganze verhaltene Groll der Samariter gegenüber den übrigen Juden sprach aus ihr. »Die Tugend, die ihr wiederfinden müßt, heißt Demut. Sonst wirst du vergeblich nach Waffen bei uns suchen«, fügte sie hinzu.
    Jesus war hochrot im Gesicht angelaufen. Er war zutiefst getroffen und brachte stammelnd hervor: »Aber glaubst du, glaubst du denn, daß der Herr uns gegenüber gleichgültig ist? Glaubst du nicht, daß Ihn unser Verfall schmerzt? Hat Er denn nicht auch uns erschaffen? Ist es möglich, daß Er sich nun gleichgültig von uns abwendet?« Aber das Gesicht der Frau blieb verschlossen; sie glich einer wütenden Katze.
    »Friede, Maritha!« lenkte Dositheus ein. »Dieser junge Mann ist gekommen, um unsere Hilfe zu erbitten, wir sind ihm unsere Gastfreundschaft schuldig.« Er schien lange nachzudenken. »Es hat keinen Sinn, die Welt in Provinzen einzuteilen«, meinte er schließlich. »Maritha wollte sagen, daß deine Äußerungen widersprüchlich sind. Einerseits scheinst du zu sagen, dein Volk habe sich von Gott abgewandt, und andererseits, Gott habe sich nun auch von deinem Volk abgewandt. Das bedeutet folgendes: Wenn dein Volk wieder tugendhaft wird, dann wird Gott« — es war nahezu unerträglich, mit welch vertraulicher Dreistigkeit er Gott beim Namen nannte — »ihm auch wieder gewogen sein. Das meintest du doch, oder?«
    Jesus gab keine Antwort; er wirkte verkrampft wie ein Schüler, der seine Lektion schlecht aufgesagt hat.
    »Aber Maritha hat tatsächlich recht. Es besteht kein Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatsachen. Ihr könnt eure Tugend wiedererlangen und trotzdem weiter in Knechtschaft bleiben.«
    Die Worte trafen Jesus mitten ins Herz. Er verspürte den heftigen Wunsch, auf und davon zu laufen. Zur selben Stunde, in der ans Kreuz geschlagene Zeloten mit dem Tod rangen, erhoben sich Sadduzäer mit vor Fett triefendem Mund zufrieden vom Mittagstisch. Jokanaan, Obed, wo seid ihr?
    »Ist der Allmächtige denn taub?« fragte er mit schwacher Stimme.
    »Er ist immateriell«, antwortete Dositheus. »Waffen kümmern Ihn nicht. Denn ihr wart tugendhaft, als Er sich eurer Meinung nach von euch abkehrte.«
    Jesus erhob sich in höchster Bedrängnis. Diese Leute waren nicht der richtige Kreis für ihn. Er hörte Dositheus — schon aus einiger Entfernung- noch sagen, daß Gott nicht gut und nicht schlecht sei und sich nicht sonderlich um die Juden kümmere...
    Man hatte ihm von all den Wundem erzählt, die dieser Mann aus dem Norden vollbrachte. Er würde nie erfahren, ob es wirkliche Wunder waren und von welcher Macht sie bewirkt wurden. Er wollte es gar nicht erfahren.
    Noch immer hatte er den Geschmack des Staubes im Mund, des Staubes, der in der Stunde seines Aufbruchs aufgewirbelt war, der ihm in Leisten und Achseln klebte und bis zum Abend zwischen seinen Zähnen knirschte; da erst stieß er endlich auf einen Bach, in dem er sich waschen konnte.
    Doch er bedurfte eines anderen Baches. Je mehr Zeit verrann, desto stärker knirschte der Staub Israels zwischen seinen Zähnen.
     

XVIII.
     
    Das Wort eines Diebes
     
    In diesem Jahr hatte man erst hundertsiebzehn oder hundertachtzehn Kreuze errichtet, vielleicht auch mehr. Nicht einmal der Prokurator wußte die genaue Zahl. Was spielte das auch für eine Rolle. Die Milane mußten eben mit dem Kleinwild vorliebnehmen.
    Arge Magenkrämpfe hätten den Hohenpriester beinahe dahingerafft. Dabei hatte man ihn doch vor dem Verzehr fetten Lammfleisches gewarnt! Jener Simon, der übrigens ein Sohn des Boethos war, kam nicht wieder so recht auf die Beine und trat seinen Platz an Hannas ab, der seine Gelüste besser zu zügeln wußte.
    Der Prokurator Coponius, des Orients samt seiner Intrigen und Düfte überdrüssig, packte seine Koffer und kehrte nach Rom zurück. Das Palastvolk in Jerusalem, die Tetrarchen, der Tempelklerus und die römischen Offiziere ergingen sich einige Tage lang in Mutmaßungen über die möglichen Laster seines Nachfolgers

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