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Ein mörderischer Sommer

Titel: Ein mörderischer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fielding Joy
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wieder aufgebrochenen, unendlich scheinenden Tränenstrom nicht zum Versiegen bringen. Und so war sie in ihren Wagen gestiegen und drauflos gefahren, ohne genau zu wissen, wohin, bis sie das Pflegeheim vor sich gesehen hatte.
    Und jetzt sitzt sie hier neben einem alten Mann, der ihr einst einen wahren Schatz von Erinnerungen geschenkt hat, der jetzt aber nicht einmal mehr weiß, wer sie ist. Sie weiß es ja selber nicht mehr genau. Sie sieht sich in dem Zimmer um. Was hat sie in einem Zimmer verloren, in dem zwei schlafende alte Männer liegen, von denen keiner merkt, daß sie überhaupt da ist? Der alte Mann schlägt die zittrigen Lider auf. Während er sie anstarrt, formen sich die vielen Falten in seinem Greisengesicht zu einem kleinen Lächeln. »Joanne?«
    »Großvater!« Die Tränen, die Joanne die ganze Zeit über nur mit Mühe zurückgehalten hat, strömen an ihren Wangen herab. »Kennst du mich?«
    Er sieht sie verdutzt an und versucht sich aufzusetzen.
    »Warte, ich helfe dir«, sagt sie schnell und stellt sich hinter ihn, um die Kissen aufzuklopfen.
    »Ich glaube, dort unten am Bett ist etwas, das man drehen kann«, sagt er mit klarer Stimme.
    Sofort ist Joanne am unteren Teil des Betts und kurbelt das Kopfteil hoch, damit ihr Großvater bequem sitzen kann. Die Baseballmütze fällt vom Kissen auf seinen Schoß. Er nimmt sie und setzt sie sich auf. Seine Augen strahlen vor Freude.
    »Dieses Jahr gewinnen wir die Meisterschaft!« Er lächelt. Joanne sieht, daß er sein Gebiß nicht trägt. Er scheint es gar nicht zu bemerken, und wenn er es bemerkt, so stört es ihn offensichtlich nicht. »Warum weinst du?« fragt er.
    »Weil ich glücklich bin«, erklärt ihm Joanne. Es ist wahr, sie ist glücklich. Er hat sie erkannt. »Es freut mich so, daß ich dich sehen kann.«
    »Du solltest öfter kommen. Deine Mutter kommt jede Woche.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid. Ich werde versuchen …«
    »Ich habe Durst.«
    »Möchtest du ein Glas Wasser?«
    »Auf dem Tisch steht ein Glas.« Er deutet auf das Nachtschränkchen, auf dem ein Glas mit Strohhalm steht. Es ist halb voll mit Wasser.
    »Ich hole dir frisches Wasser«, sagt Joanne und nimmt das Glas.
    »Nein, das da tut's schon. Ich möchte mir nur die Lippen ein bißchen feucht machen.« Er saugt an dem gebogenen Strohhalm und gibt Joanne das Glas zurück. »Sie werden immer trocken. Hier ist nicht genug Luftfeuchtigkeit. Seit Jahren beschwere ich mich schon deswegen. Sieh mal an«, sagt er plötzlich und beobachtet, wie sie das Glas auf den Nachttisch zurückstellt. »Du bist ja richtig erwachsen geworden.« Joanne lacht und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. »Wie alt bist du denn jetzt?«
    »Einundvierzig«, antwortet Joanne.
    »Einundvierzig?« Er schüttelt den Kopf. »Dann müßte deine Mutter ja … wie alt sein?«
    »Siebenundsechzig«, sagt Joanne rasch.
    »Siebenundsechzig! Meine kleine Linda ist siebenundsechzig! Ich kann das nicht glauben. Wie geht es deinem Mann?« Die Fragen kommen jetzt in immer kürzeren Abständen, als ob er wüßte, daß er nur wenig Zeit hat, sie alle zu stellen.
    »Gut«, erwidert Joanne automatisch. »Gut geht es ihm.«
    »Und deinen Kindern? Wie viele hast du gleich?«
    »Zwei.«
    »Zwei. Entschuldige, manchmal vergesse ich es. Sie heißen …?«
    »Robin und Lulu. Eigentlich Lana, aber wir nennen sie Lulu.«
    »Die kleine Lulu, ja, ja, ich erinnere mich. Hast du Fotos von ihnen?«
    Joanne kramt in ihrer Handtasche. »Nur die hier.« Sie zieht ein altes kleines Taschenalbum hervor. »Sie sind schon ein paar Jahre alt.« Sie wischt den Staub von dem Plastik, unter dem die zwei Bilder stecken. »Sie sind inzwischen schon größer. Vor allem Robin hat sich ziemlich verändert.« Sie macht eine Pause, um zu sehen, ob ihr Großvater noch zuhört. »Sie sind den Sommer über im Ferienlager. Gestern haben wir sie besucht. Sie haben sehr viel Spaß dort. Sie lassen dich schön grüßen«, fügt sie hinzu. Sein Lächeln wird breiter. »Wenn sie wieder zurück sind, bringe ich sie mit, damit sie dich besuchen. Hättest du das gern?«
    Er nickt. Das Schild seiner Baseballmütze fällt ihm über die Augen. Hastig schiebt Joanne es wieder hinauf.
    »Minnie hat mir diese Mütze mitgebracht«, erzählt er stolz. Minnie ist Joannes Großmutter. »Obwohl sie selbst immer ein Dodger - Fan war.« Er schließt die Augen. Einen Moment lang befürchtet Joanne, daß er wieder in seine angenehmere Welt zurückgekehrt ist, aber als er

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