Ein mörderischer Sommer
Arbeit ist stinklangweilig. Meine Arbeit ist ihr scheißegal! Was hat sie dir über unser Sexleben erzählt?« fragte er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte.
»Nun, daß es um einiges mehr als bloß befriedigend ist«, antwortete Joanne leise und fügte rasch hinzu: »Geradezu super.«
»Unser Sexleben existiert überhaupt nicht!« stieß er hervor.
»Na ja, seit der Fehlgeburt ist sie wohl …«
»Mit der Fehlgeburt hat das nichts zu tun. Wir haben schon seit Jahren kein Sexleben mehr!« Er ließ sich schlapp auf einen Stuhl fallen. Beide schwiegen lange. »Du, ich habe keine Ahnung, wie und weshalb ich auf all das zu sprechen gekommen bin. Aber wie ich schon sagte, das ist nicht das Problem.« Er lachte bitter. »Mein Leben ist das Problem.« Joanne spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Zum erstenmal, seit er zu sprechen begonnen hatte, wußte sie ganz genau, was er meinte. (»Ich meine … ich weiß, es ist dein Leben«, hatte ihre Schwägerin gesagt, »aber versuch doch, alles nicht zu ernst zu nehmen.«)
»Ich habe dir ja erzählt, daß Eve und ich schon seit Jahren nicht mehr gemeinsam in Urlaub gefahren sind. Und nicht etwa, weil ich zuviel zu tun habe. Weil sie nicht fliegen will.«
»Viele Leute fliegen ungern«, beharrte Joanne stur.
»Sie fliegen ungern, aber sie fliegen! Ich habe nur zwei Wochen Urlaub im Jahr, Joanne. Ich habe nicht die Zeit, mit dem Schiff nach Europa zu fahren. Aber gut, geschenkt, lassen wir das mit dem Fliegen beiseite, aber es ist so, daß selbst, wenn ich vorschlage, irgendwohin mit dem Auto zu fahren, nach Boston meinetwegen oder nach Toronto, völlig egal, wohin, die Antwort nein lautet. Und willst du wissen, warum?« Joanne war sich ganz sicher, daß sie es nicht wissen wollte, und wußte gleichzeitig, daß er es ihr auf jeden Fall erzählen würde. »Weil sie nicht von ihrer Mutter weg will!«
»Was? Brian, das ist doch lächerlich! Eve hält es kaum mehr als zwei Minuten aus, in einem Zimmer mit ihrer Mutter zu sein.«
»Ich weiß. Ich weiß aber auch, daß sie sich aus irgendeinem Grund verantwortlich für sie fühlt und sie nicht alleine lassen will. Es ist eine sehr komplizierte Beziehung. Schuldgefühle spielen da eine große Rolle. Ach was, ich bin Polizist und nicht Psychiater. Aber ich sage dir, in Eves Kopf spielt sich ganz schön viel ab, von dem wir keine Ahnung haben, und ihre Mutter hat ziemlich viel damit zu tun.«
»Okay«, sagte Joanne in dem Versuch, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. »Vielleicht hat Eve Probleme. Ich gebe zu, ich war mir nicht darüber im klaren, wie stark einige ihrer Phobien sind, aber ich glaube immer noch nicht, daß die Schmerzen, die sie hat …«
»Ich habe mit allen diesen Ärzten gesprochen, mit einigen sogar mehrmals. Alle sagen dasselbe – daß physisch alles in Ordnung ist mit Eve, daß die Tests nichts Außergewöhnliches zeigen. Joanne, niemand erkrankt zur gleichen Zeit überall am Körper. Eve hat überall Schmerzen. Geht man mit ihr zu einem Arzt, sind es Schmerzen in der Brust. Geht man zu einem anderen, sind sie plötzlich im Unterleib. Ihr Magen funktioniert nicht richtig, sagt sie, sie nimmt ab, ihre Temperatur zu. Dabei ist die Rede von einem halben Pfund, einem halben Grad! Ich habe die verdammte Waage weggeworfen, sie hat eine neue gekauft. Ich sage ihr, sie soll endlich aufhören, andauernd Fieber zu messen, sie stiert mich bloß an. Sie ist wie besessen.«
»Sie hat Schmerzen!«
»Das bezweifle ich nicht. Glaub mir, ich bezweifle das nicht eine Sekunde lang. Was soll ich sagen?« Hilflos sah er im Zimmer umher. »Ich habe mit der Polizeipsychiaterin gesprochen. Ich habe sie gefragt, was sie darüber denkt.«
»Und?«
»Sie meinte, das Ganze sei ziemlich typisch für eine Post-partum-Depression, hervorgerufen durch die Fehlgeburt, das gleiche, was die Ärzte gefolgert haben. Sie sagte, ich soll mich nicht beeinflussen lassen und Eves Krankheit nicht durch mein Beunruhigtsein noch verstärken, sondern ich soll Eve sehr dazu raten, sich mal mit jemandem, der das gelernt hat, zu unterhalten, aber sie will natürlich nichts davon wissen. Sie sagt, sie weiß genug über Psychiater, um nichts mit ihnen zu tun haben zu wollen. Sie sagt, sie muß sich doch nicht verteidigen oder bei mir entschuldigen, weil sie Schmerzen hat. Sie ist wütend auf mich, weil ich es gewagt habe, ihr vorzuschlagen, zu einem Psychiater zu gehen. Aber, Joanne, ist das denn so falsch? Seit fast zwei Monaten
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