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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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früher gestellte Frage Inkrats einfach unbeantwortet zu lassen. Er dankte diesem vielmals für seine freundlichen Auskünfte, empfahl sich mit Artigkeit und stieg durch das weißgekalkte und nunmehr erleuchtete Treppenhaus wieder hinab.
    34
    Als er auf das Pflaster hinaus trat, war es halb sieben und die Läden standen noch offen. Von hier bis nach Hause hatte Conrad kaum fünf Minuten zu gehen; die Straße, in welcher Doktor Inkrat wohnte, zweigte von der Wackenroderstraße ab, der auch die Hauptfront der Kirche zugekehrt war. Nachdem Conrad die fast endlose Langseite des Gebäudes abgeschritten hatte, bog er hier um die Ecke. Der Verkehr in der Wackenroderstraße war um diese Stunde des Abends lebhaft, er störte die Gedanken, und obendrein kam Castiletz dahinter, daß er natürlich etwas vergessen hatte: nämlich Doktor Inkrat zu bitten, ihm auf irgendeinem amtlichen Wege eine genaue Beschreibung des geraubten Schmuckes zu verschaffen, tunlichst mit Abbildungen. Das war also nachzuholen! Erledigt. Castiletz blieb vor dem Schaufenster einer Papierhandlung stehen.
    Hier, während er die vielen Dinge betrachtete, welche da ausgestellt waren – Mappen, Löschwiegen, Briefbeschwerer und Füllfederhalter aller Farben und Größen – hier hemmte ihn irgendwas tief im Innern, als er nun eintreten und einen, angesichts seiner klaren Absichten, durchaus zweckmäßigen Einkauf machen wollte. Er empfand plötzlich den Wunsch, noch einmal, bevor er sich jetzt dieser Sache mit Louison widmen würde, von alledem genügenden Abstand zu nehmen, klaren Abstand, um sich dann erst, sozusagen aus ganz freier Wahl, damit – zu beschäftigen. Ja, Castiletz empfand einen geradezu sehnlichen Wunsch nach jenem Abstande und nach dieser freien Wahl. Dabei dachte er an Günther Ligharts, jedoch war ihm das Bild Günthers sozusagen viel zu nahe, als daß er es selbst bemerken oder feststellen hätte können. Gleich darauf trat er ein und kaufte ein blaues Heft in Quarto.
    Daheim fand er Marianne noch nicht vor. Conrad zog sich bis zum Abendessen in das »Bibliothekszimmer« zurück.
    Nun freilich, er hatte Detektivgeschichten gelesen. Jedoch die Sache da lag von vornherein anders, das fühlte Castiletz wohl: er empfand allzu deutlich, daß er diesen Fall nicht einfach aufgriff und in Angriff nahm – obgleich es gerade so und nicht anders eigentlich hätte sein müssen. Eine freigewählte Richtung! Das war’s. Dieser Ausdruck befriedigte ihn ungemein, ähnlich wie seinerzeit das »Einschlafen der Fehler«. Während er das mit der »freigewählten Richtung« dachte, sah er sich selbst als Knaben auf jenem Baum in der Au am Rande des Tümpels sitzen, nah über dem Boden wie auf einer Bank, da der verkrümmte Stamm ein Stück waagerecht hinlief, und hinausschauen in die Wiesen. Er sah auch das rote Eimerchen. An die Mutter dachte er jetzt jedoch nicht.
    Nun nahm Conrad die zunächst einmal notwendigen Eintragungen vor. Erstens, als unerledigt: »Genaue Beschreibung des Schmuckes!« Zwischendurch schrieb er auf das Schildchen am Deckel des Heftes »Louison Veik«. Und dann begann seine Feder eifrig zu eilen, bei gewissenhafter Aufzeichnung aller Tatsachen, die Doktor Inkrat damals bei Herrn von Hohenlocher mitgeteilt hatte: Castiletz kämpfte bereits einen schweren Kampf mit ihnen, das heißt eigentlich mit ihrer sprachlichen Festlegung, als an der Türe zum Speisezimmer das Mädchen klopfte, dann öffnete (Conrad sah Marianne schon drinnen am Tische sitzen) und den Hausherrn zum Essen bat. Er schob das blaue Heft unter die Schreibmappe.
    Als er am folgenden Nachmittage aus der Fabrik kam, lag es oben auf der Mappe.
    Castiletz begriff freilich, daß für ein Stubenmädchen mit Staubwedel und Wischtuch solch ein Heft auf seinem Schreibtische notwendig unter die gleiche Klasse von Dingen fallen mußte wie etwa ›Die Färberei‹ und die ›Chemische Bearbeitung der Schafwolle‹. Diese Erkenntnis erstickte bei Conrad wohl jeden Groll gegen das Mädchen; aber sonst wurde die Sache hiedurch um nichts besser. Er setzte an diesem Abende seine Eintragungen nicht fort, sondern verschloß das blaue Heft in einer Schreibtischlade.
    In Mariannes Miene und Verhalten zeigte sich zunächst keine Veränderung und nichts Auffallendes; Conrad konnte daher auch nach dem Abendessen noch nicht wissen, ob sie nun untertags einmal das Bibliothekszimmer betreten habe oder ob das heute zufällig unterblieben sei. Als man später in den Betten lag, mit Literatur

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