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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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beschäftigt wie allabendlich, wurde ihm jedoch eine Art von Antwort auf seine innerlichen Fragestellungen, Erwägungen und Befürchtungen zuteil.
    Marianne lag beim Lesen der Lampe zugekehrt, also mit dem Rücken gegen ihn; über dem weißen Hemde saß fest und stämmig das bräunliche Genick, darüber starrte das neuestens immer hellere Blondhaar; es sah etwas steifer und härter aus als früher. Und nun erst bemerkte Castiletz, daß die grünen Beryllohrgehänge heute fehlten.
    In diesem Augenblicke erschrak er. Die Antwort, stumm durch eine wenn auch geringfügige Tatsache erteilt, war stärker als ein starkes Wort, dabei unangreifbar in ihrer immer noch möglichen Zweideutigkeit. Seine Bestrebungen und Bemühungen in bezug auf Louison, seine Handlungsweise – die bisher in nichts anderem bestand als darin, daß er Inkrat besucht und ein Heft besorgt hatte – dies alles wurde hier sozusagen schon festgelegt und angenagelt, dem allen liefen bereits die Folgen unverzüglich nach. Es war für Castiletz einfach zu schwer, es war zu drückend, diese stumme Sprache unwidersprochen hinzunehmen und sich damit abzufinden. Er zögerte ein wenig und sagte dann:
    »Mariannchen . . .?«
    Sie antwortete nicht. Nun, vielleicht war das Buch spannend. »Mariannchen . . . wo hast du denn heute deine schönen Ohrringe?«
    Auch jetzt dauerte es einige unangenehme Augenblicke, bis sie, ohne ihre Körperstellung zu verändern, leichthin und fest antwortete:
    »Ich habe einen von ihnen verloren und kann ihn nicht wiederfinden; den anderen allein zu tragen hat doch keinen Sinn.«
    »Freilich«, sagte er und gab sich sogleich zufrieden; er war ihr geradezu dankbar.
    Übrigens kam es einige Zeit danach – im allerbesten Einvernehmen – zu einer Trennung der ehelichen Schlafstätten, indem Conrad zunächst ein breites Sofa im »Ankleidezimmer« bezog, später jedoch auf der Ottomane in der »Bibliothek« schlief. Die Gründe dafür waren verschiedene und einleuchtende. Castiletz gewöhnte sich an, des Abends immer länger und länger zu lesen; Marianne aber mußte jetzt alltäglich mit dem zeitlichsten heraus, da Duracher eine Trainingsstunde für Anfänger von halb sechs bis halb sieben Uhr morgens abzuhalten pflegte (dieser Mann leistete mit Vergnügen, wofür man sonst bezahlte Kräfte hat), also noch bevor er in die Fabrik ging. Da hieß es für Marianne gut ausgeschlafen zu sein. Zum zweiten aber störte Conrad ihre Nachtruhe, besonders in der letzten Zeit, da er sich häufig herumwarf, unruhig schlief, und auch im Traum redete. Aus diesen Anlässen geschah es – zum einzigen Male – daß Marianne ihm sagte: »Du solltest wieder Sport betreiben wie früher, das fehlt dir offenbar.«
    Einst, in der Nacht, als sie noch im selben Zimmer schliefen, schlug Mariannes plötzlich und erschreckt eingeschaltete Bettlampe eine mattbunte Höhlung in die Dunkelheit des Gemachs: Conrad hatte geschrien, und zwar fürchterlich. Sie beugte sich über ihn und schüttelte ihn an den Schultern. »Hast du geträumt?« fragte sie nicht gerade sehr sinnvoll und eher zornig als tröstend. »Ich weiß nicht«, sagte er und starrte sie verschlafen und erschrocken an. Jedoch, er wußte. Als das Licht wieder ausgeschaltet war, hing der Traum noch dicht und unzerronnen über ihm in der Finsternis, ja, sein Druck schien wiederzukehren, so daß Conrad nun seinerseits beinahe nach dem Knopf des Lichtes tasten wollte. In der Mitte des »Ankleidezimmers«, das nächtlich war, seltsam hoch und blaß erleuchtet, saß auf dem Parkettboden, schwarz, feucht, glänzend und in einer Art von furchtbarer Schamlosigkeit – ein meterlanger dicker japanischer Riesenmolch. Dahinter erhob sich an der Wand jener große Spiegel, der dort zwischen den Fenstern hing. Der Molch hieß ›Benjamin‹. Ihn wegzuschaffen war unmöglich, schon deshalb, weil Castiletz ihn dazu hätte anpacken müssen. Unabwendbar aber war jetzt das Kommen mehrerer Menschen durch das Vorzimmer mit der Bespannung des Bodens von grünem Rips (seit wann?), darunter der Vater sowie die Tante Erika von Spresse. Diese Sache glücklich zu ordnen, zu erledigen, dazu hätte ein wenig Zeit, ein wenig Ruhe und Sammlung gehört; man mußte ganz langsam auf den Spiegel zuschreiten, mit zusammengekniffenen Augen, sei’s auch, daß man dem Molch dabei sehr nahe käme: dies allein, nämlich der gesammelte Blick in den Spiegel aus leicht zusammengekniffenen Augen, dies allein konnte ›Benjamin‹ zum Verschwinden

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