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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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bringen. Conrad rang aus der Ohnmacht des Traumes verzweifelt um die Kraft, welche dazu gehörte, diese einzige hier bestehende Möglichkeit eines glücklichen Ausganges der Sache zu ergreifen: und jetzt siegte er. Langsam und schwer wie von Stein vermochte er sich gegen den Spiegel zu bewegen. Schon verschwand ›Benjamin‹. Jedoch, was Castiletz jetzt im Spiegel sah, das öffnete sich wie ein heulender Abgrund. Er schrie.
    Und da hatte Marianne Licht gemacht.
    35
    Das Vorschreiten des Frühlings ging nun allmählich in den warmen, befangenen Stillstand der Hochsommerwochen über. Man kann sagen, daß Conrad Castiletz damals »reifte«. Dieser neue Zustand wurde von ihm etwa so erlebt, daß ein Druck, welcher sein Leben bisher in einer bestimmten, unanfechtbaren Form und Ordnung zusammengehalten hatte, nunmehr nachließ und einer mehr empfangenden Haltung Platz zu machen begann: und wo die Dinge seines Daseins ein Stirnschild der Benennung getragen hatten – und jede Benennung drückt schon ein »Sollen« des Gegenstandes aus, wie ein witziger Philosoph einmal gesagt hat – dort wurde nun hinter der Fassade von mehr oder weniger leuchtenden Titulaturen bei jedem Gegenstande seine sozusagen viel weiter nach rückwärts reichende Fortsetzung sichtbar, wobei die Sachen zum Teil als anders erschienen wie ihre Namen (etwa: »ordnen und erledigen« oder »Knabenreich und Kinderland der Au« oder »sich nach freiem Ermessen mit einer Sache beschäftigen«). Manches wurde bis in seine letzte Herkunft erkennbar, welche einfach darin bestand, daß man irgendwann einmal begonnen hatte, es dem Vater nachzureden, und daß, mit der gleichen Wahl der Worte, auch die gleiche Art des Bewegens von Mund und Lippen ihren Einzug gehalten hatte und zur Gewohnheit geworden war. Solches galt jedoch nicht nur für gewisse Erbschätze familiärer Art auf dem Kunstgebiet der Anekdote. Sondern, um ein Beispiel zu geben: Castiletz war nicht weit entfernt davon, jene glatte Unmöglichkeit, die er bisher darin gesehen hatte, wenn ein Mensch die Laufbahn des Lebens wechselte und aus einem bereitliegenden Geleise sprang, ebenfalls für eine Art von Konterbande aus dem väterlichen Hoheitsgebiet zu halten, die völlig unkontrolliert bei ihm eingeschmuggelt worden war . . .
    Mit jener mehr »empfangenden Haltung« aber war es schon durchaus ernst, wenn sie auch nicht so klar zum Bewußtsein kam wie das allzu deutliche Wort, welches hier davon berichtet. Castiletz begann in irgendeiner Weise nachzugeben und so manches aus den Händen zu lassen; und wenn es einerseits gestattet sein mag, solch einen ganz jugendlichen Charakter mit einer Art fest zusammengezogenem Knoten zu vergleichen, dann wäre für Conrads nunmehrigen Zustand eher der Vergleich mit einem Becken oder einer Schale am Platz oder sonst einem Gefäß, welches eine hereinfließende Masse aufnimmt, ohne sich zu sperren.
    Und dieser Vorgang war beglückend. Unter dem »Ernst des Lebens« begann er was ganz anderes zu verstehen als bisher (dieser Terminus technicus wird dem jungen Menschen meistens als Entlaßschüler bekannt, weil die Erwachsenen bei dieser Gelegenheit selten ohne derartige feierliche Redewendungen ein schickliches Auslangen finden). Der Ernst des Lebens: das war nun, daß irgend etwas wirklich geschah, und daß man sich dem gegenüber wie aus einer gebückten Stellung aufrichtet, und geradezu verwundert jetzt über die eigene Größe.
    Immerhin, der Sommer ist eine Jahreszeit, die dem Menschen verhältnismäßig wenig Geistesfreiheit gewährt. Alles ist dicht verwachsen, wuchernd und rund gekuppelt im Laube. Man kann nicht viel mehr tun als den Honig in seine Schale fließen zu lassen, wenn man so glücklich ist, gerade eine frei zu haben.
    Im August fuhr Marianne mit mehreren von den jungen Leuten in Begleitung Peter Durachers nach Oberbayern, um im Wilden Kaiser zu klettern. Es war dies der einzige Sport, den sie als junges Mädchen früher betrieben hatte. Acht Tage nach ihrer Abreise erhielt jedoch Conrad bereits einen Gruß (die Postkarte starrte nur so von Unterschriften!) aus dem Eis der österreichischen Silvretta. Als sie ihm einige Zeit später aus jener Gebirgsgegend Nordsteiermarks, die man das »Gesäuse« zu nennen pflegt, mitteilte, daß ihr die Kletterei auf die »Bischofsmütze« und den »Buchstein« verhältnismäßig leichtgefallen sei, bemerkte jemand, dem Conrad das erzählte, daß man bei manchen Touren in dieser Gegend am Ende der Kletterei und

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