Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
sollen? Hätte er sie mitnehmen können, um sie etwa aufzuhängen? Nein. Zum erstenmal hier in diesem Atelier empfand er sein jetziges und bisheriges Leben und dessen Umstände – buchstäblich: was darin und was darum herum stand! – als letzten Endes nur vorläufig und zufällig, als etwas, das man – verlassen konnte. Gerade das aber gab ihm wieder Haltung und Aufgerichtetsein, und so wurde es Castiletz möglich, jetzt doch auf den ursprünglichen Zweck und die eigentlich mit seinem Besuche verbundene Absicht zurückzukommen.
    »Sie sind, gnädige Frau«, sagte er langsam und mit sorgfältiger Aussprache, die auch irgendwie neu im eigenen Munde schmeckte, »der letzte Mensch unter allen Freunden, Verwandten und Bekannten Louisons, welcher sie lebend sah. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Ich nahm an dem schrecklichen Untergange Louison Veiks, gleich als ich davon hörte, immer größten Anteil. Und, darüber hinaus: ich bin zu dem Entschluß gelangt, einen Versuch der Aufklärung dieses ganzen Geheimnisses, dieses bis heute ungelösten Falles zu unternehmen.«
    Seine letzten Worte kamen ihm geradezu lächerlich vor.
    Maria Rosanka sagte: »Ach, Sie meinen: den Täter, und wo der Schmuck hingekommen ist und so . . . Merkwürdig, das alles hat mich eigentlich nie interessiert. Ich wurde übrigens genau einvernommen, freilich wußte ich nicht viel zu sagen.«
    »Sind Sie vielleicht von einem gewissen Doktor Inkrat einvernommen worden?«
    »Ganz richtig«, sagte sie. »Varanus aridus Inkrat, später in Kollektion Hohenlocher.«
    Castiletz lachte, aber nur aus Höflichkeit. »Also auch das ist Ihnen bekannt!« rief er.
    »Mir ist immer alles bekannt«, sagte die Rosanka, »deshalb nämlich, weil ich eine Hexe bin.«
    Das letzte äußerte sie, ohne irgend zu lächeln, sondern sie sah aus ihren dunklen blanken Tieraugen traurig vor sich hin. Castiletz war es durch Augenblicke so zumute, als wiche der Boden ein wenig unter seinem Sessel, als schwanke dieser und als träume er selbst. Jedoch, nun war er plötzlich in der Lage, diese Augen einzuordnen: sie gehörten zur gleichen Klasse wie jene des Katers Tschitschipeter.
    »Mir kommt es auch so vor«, antwortete er völlig ernsthaft auf Maria Rosankas seltsame Bemerkung. »Und deshalb bitte ich Sie, mir – wenn Sie wollen – vor allem zu sagen, was Sie von diesem Doktor Inkrat persönlich halten?«
    »Ein sehr unglücklicher Mensch«, sagte sie. »Er ist in eine Berufsklasse hineingerutscht oder eigentlich abgerutscht, in welche er nicht gehört, weil er ein Philosoph oder ein Arzt hätte werden müssen. In seiner deplazierten Lage als Kriminalist hat er ein ehrliches und starkes Streben entwickelt, den Platz, auf welchen er – geraten war, auszufüllen, das heißt vor allem diesen Fehlwurf seines Lebens einmal einzuholen, ihn sich zu eigen zu machen, die geschaffene Lage in sich selbst und in seinem Innern ganz unterzubringen, wenn ich so sagen darf. Er versuchte also festzustellen, was ein Kriminalist denn eigentlich sei? Auf diese Weise ist er keiner geworden, wohl aber ein Theoretiker, wobei man nur bedauern muß, daß er sich nicht auf die Literatur verlegt hat.«
    »Ich glaube sogar, er wollte es einmal tun«, sagte Castiletz. »Sie aber, gnädige Frau, sind allen Ernstes eine Hexe.«
    Nun schwiegen sie. Es fiel leicht, mit Maria Rosanka zu schweigen; man konnte es in der gelöstesten Weise tun, ohne daß aus der wachsenden Stille ein ansteigender Druck kam. Conrad vergaß durch Augenblicke alles und betrachtete die Bilder Louisons. Auch jenes mit dem »Sarong« war ihm nahe, wie das eigene Herz; und um den braunroten Ton des Fleisches entzündete sich ihm kein erhitzter Rand, wie voreinst um die weiße Haut Mariannes, über welcher gleichsam die Luft gezittert hatte wie über einem glosenden Feuer. Eine zarte, unendliche Sehnsucht erfaßte ihn, und dieses Gefühl schien wie von außen herein, von der Landschaft her, fein und stark durch das breite Einfallstor des schrägen Oberlichtes zu treten.
    »Sie wollten über mein letztes Beisammensein mit Louison etwas erfahren«, sagte Maria Rosanka nach einer Weile, leicht und flüssig sprechend. »Hier ist nicht viel zu sagen, und Sie werden ebenso enttäuscht sein, wie es der gute Doktor Inkrat war. Ich hatte mich freilich als Zeugin gleich pflichtschuldigst gemeldet. Louison hat mich schon eine Viertelstunde vor Abgang des Zuges vom Bahnsteige weggeschickt, wohin ich bei ihrer Durchreise mit ein paar Blümlein

Weitere Kostenlose Bücher