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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Vorstand zu melden. Der würde dann schon verständigt sein. (Das blaue Heft regte geradezu die Schwingen bei solchen geordneten Aussichten!) »Ja«, fragte der Vorstand, »Sie sind Richtung Heilbronn gefahren – aber wissen Sie denn auch noch, ob dieses Fenster, an welchem Sie standen, in der Fahrtrichtung links oder rechts lag? Darauf kommt es doch vor allem an, wohin nämlich Sie Ihre Aufmerksamkeit wenden sollen.« »Ja, das weiß ich ganz genau«, sagte Conrad (na, und ob er’s wußte!). »Ich kann Ihnen, was das Suchen betrifft, nicht viel Hoffnung machen, zwischen all dem Schotter und Ruß«, meinte der Vorstand. »Es war schon gegen den diesseitigen Ausgang zu«, sagte Conrad.
    Am folgenden Morgen fügte sich alles aufs beste. Conrad fuhr wieder durch den Tunnel, aber es war nur ein schwacher Nachklang der früheren Erregung, als sich der Zug diesmal im Bogen dem dunklen Munde näherte. Eine halbe Stunde später ging Castiletz neben dem Streckenwärter auf dem hohen Bahndamme, mit den ganz gleichen kleinen Schritten wie jener, denn anders wäre das nicht zu machen gewesen. In das Blau des Himmels ragte hoch, ja wie senkrecht, der goldene Schild einer vom Weinlaub überzogenen Lehne; unten dran öffnete sich der rußige Doppelmund. Hier, am Wärterhaus, wurde ein Zug abgewartet. Auch dessen Heranwachsen, Donnern und Verschwinden brachte jene tiefen Schwingungen des gestrigen Tages nicht wieder. Wie gestern zeigte sich des Stollens andere Öffnung erst rot im Rauche, dann gelb, endlich als weiße Scheibe. Jetzt übrigens erfuhr Castiletz, warum – auch hier – nur eines der beiden Portale verrußt erschien: die beiden Stollen hatten verschiedene Richtung des Luftzuges. Sie traten ein. Herr Schmidt, der Streckenwärter, ein kleiner ernster Mann – übrigens Vater mehrerer Kinder – trug einen Hammer. Bei all der peinlichen und gleichmäßigen Sorgfalt täglicher Verrichtung ging von ihm doch jene gewitzte Klugheit und Munterkeit aus, die das Volk eben besitzt, und ohne je gefragt zu haben, wozu; da ja das Leben hier vielleicht wirklich mit seinem schwersten Gewichte liegt, hier vielleicht wirklich, und schon gewohnheitsmäßig, aufgestemmt wird mit dieser letzten, unverwüstlichen Kraft und mit gar keiner anderen. Es war im ganzen wie ein Gang durch einen Keller, in welchem es nach Kohlenrauch riecht statt nach Wein. Castiletz leuchtete, so gut er konnte, mit zwei Lampen, er hatte gestern noch rasch eine solche gekauft, wie man sie für Fahrräder benützt. Er sah gut, doch fiel er mehrmals beinahe auf die Nase. Daß er nichts fand, machte ihm jedoch überhaupt nichts aus. Dieser Gang war sozusagen nur eine Form – und Ordnungssache: wegen des blauen Heftes in Quarto. Herr Schmidt hatte nicht viel Zeit, sich um ihn zu kümmern. Er trippelte, die Laterne auf der Brust. Nun hielt er an, schwang den Hammer, festigte einen Keil, trippelte weiter. Die Schläge klangen hallend in dieser kühlen Abgeschlossenheit. Es zeigten sich die Notnischen, und auf der anderen Seite, jedoch nicht ihnen gerade gegenüber, in Abständen wiederkehrende Durchgänge zum Nachbarstollen, keine niederen Durchschlupfe, sondern hoch, genau in vortretenden Quadern gemauert, mit sauberer Kante, oben ein tragender Bogen. Niemals durfte man ein solches Tor zur Deckung benutzen bei herankommendem Zuge, da dessen Luftverdrängung den Darunterstehenden in den anderen Stollen und bis an die Wand geworfen hätte. Einer Notnische in solchem Falle zu fern, mußte man sich legen, in den schmalen Raum zwischen Schwellen und Mauer, und zwar mit dem Kopf gegen die herankommende Maschine: der gewaltige Luftdruck konnte sonst den Rock aus den Knöpfen reißen, aufplustern, und ein Verfangen des Kleidungsstückes im Zuge bedeutete den sicheren Tod. So eng war der Stollen, daß ein stehender Mann wäre vom Schwindel unweigerlich mitgerissen worden, angesichts der vorbeitosenden Massen, wenn nicht gar von einem Trittbrette erfaßt. Manche derartige Einzelheiten einer anderen Welt – in die er, glücklicherweise, nicht als ein Unkundiger tiefer eingedrungen war – erfuhr Castiletz durch den munteren, ernsthaften Herrn Schmidt. Jedoch fand er bis zum Schlusse durchaus nichts, kein weiteres »Beweisstück«, obgleich zweimal den Stollen passierend, den Raum links vom Geleise so gut es ging ableuchtend (dabei blieb Castiletz immer weit hinter Herrn Schmidt zurück, aber dieser hatte glücklicherweise dann und wann ein paar prüfende oder festigende

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