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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Hammerschläge zu tun).
    Sie traten endlich ans Licht und setzten den Weg zusammen bis zum Bahnhofe fort – Herr Schmidt immer mit angestrengtem Blicke auf den Schwellen laufend, während Castiletz für seine an diese Übung nicht gewohnten Beine einen Pfad neben den Geleisen fand. Unterwegs, an jenem Punkte, wo die Strecke sich am weitesten herumgeschwungen hatte um den Kegel in der Mitte des Mondgebirgs, machten Herr Schmidt und Castiletz einen kleinen Halt an den Schranken beim Wärterhaus, in gemächlicher Wechselrede mit den zwei Beamten, die hier standen. Einer von ihnen, ein älterer, kraftvoller Mann, ging rüstig und geschwinde am Stelzfuß. Ja freilich, man hatte den Krieg mitgemacht, auch der andere, auch Herr Schmidt; nur Castiletz nicht. Dieser dachte an die Soldaten, welche einst dort in der heimatlichen Au geübt hatten: aber daß man bei alledem ein Bein verlieren konnte, stand erst hier als handhafte Tatsache vor ihm, und zwischen dieser (im Grunde fremden und unbegreiflichen) und seinen Jugenderinnerungen klaffte ein Spalt der Leere. Einer dieser Männer erzählte eine lustige Geschichte, die sich jüngst hier in der Nachbarschaft begeben; darin kam nun der Satz vor: »Ja, was wollt denn ihr da?« Jener aber sagte: »Ja, was wellet denn ihr do?« Es war mittelhochdeutsch. Selbst Conrad bemerkte es. Wäre er nur um ein kleines weniger »textilisch« gewesen: der Gedankensprung hätte unvermeidlich sein müssen hinüber zu der Tatsache, daß er sich in einem Lande befand, welches nichts geringeres war als das Quellgebiet der Muttersprache schlechthin, das Grundmassiv aller Dichtung im alten Reiche, dahinten in der Ferne der Zeiten. Hier aber, in der Vormittagssonne, unter dem Himmelsblau dieses heutigen Tages, das nun wieder in seine sonore Tiefe des Hintergrunds schwoll, redete ein Mann, durch Frieden und Kriegsläufte gegangen, frisch aus dem Mund entspringend, die gleiche uralte Sprache.
    Am Bahnhof stattete Conrad dem liebenswürdigen Vorstande seinen Dank ab. Nein, er habe nichts gefunden, aber sozusagen sein Gewissen beruhigt. Jener lachte und schüttelte ihm die Hand. Frühzeitig ging Castiletz heute zu Tisch, durchaus mit dem Gefühl, verrichtete Sachen hinter sich zu haben. Nun wartete auf alles nur noch das blaue Heft.
    Als er den mittäglichen ›Lauffener‹ ausgeschlafen hatte – wieder begegneten dem ersten erwachenden Blicke dort im Muster an der Wand zwei Viertelkreise oder Sicheln, tanzend, sich neckend – da war es bei weitem später als gestern. Castiletz machte sich rasch auf, durch den Ort, der wieder im Sonnengold schwamm und fast aufgelöst schwebte, hinaus auf die Landstraße. Hier kürzte ihm ein gemütlicher Zufall den Weg – jenen Weg, der ihm jetzt, zum Abschluß, ganz unabweisbar schien, ohne daß er recht überlegte, warum: dort auf die Höhe, die er gestern etwas atemlos über den Steilhang erreicht hatte. Vom Lenkersitz eines schweren, am Ortsausgange stehenden Lastkraftwagens sah den Herrn da einer wandern, dem’s plausibel schien, daß jener wohl lieber auf dem leeren Sitze neben ihm würde fahren. »Ha no – « Nun freilich. In rascher, wenn auch schwerer und schütternder Fahrt zog’s hinauf, innerhalb weniger Minuten. Castiletz stellte nun beiläufig fest, daß der Tunnel genau die schmalste Stelle zum Durchschlag des Bergs erwählt hatte, eine eingezogene Enge der platten Feldertafel oben auf dem Ringwall. Hier war auch die Wegscheid, zweigten die Straßen. Er dankte seinem unbekannten Fahrwirt, aber dieser nahm nur anstandshalber eine Zigarette, mehr wies er lachend ab, schon rasselte das Fahrzeug gewaltigen Lärms, wuchtigen Hinterteiles bergab.
    Langsam, beinahe zögernd, schritt Castiletz über die lockere Erde am Feldrain zwischen zwei Äckern gegen den Rand und Abbruch zu. Vor der äußersten, fließenden, in der Abendsonne aufschwelenden Ferne hatte sich hier spielerisch ein Berberitzenstrauch postiert, den großen Schwung dort draußen nicht übel mit kleinen roten Interpunktionen teilend. Auf den Äckern brannten da und dort Kartoffelfeuer der Bauern, lebhafter aus dem ersten Anhauche der Dämmerung tretend. Conrad ließ sich nieder. So stand er nicht, sondern saß gewissermaßen auf dem Dache, während unten, tief im Keller, gerade unter ihm, die Stollen zogen. Aus ihnen vielleicht konnte es heraufsickern durch hunderte Fußdick Bodens: daß er lebte. Endlich lebe ich. Was klein war und »hell«, im Vordergrund getrieben, nun wich es für

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