Ein Mord den jeder begeht
stand doch darüber. Die Lage war ja außerordentlich günstig. Es befand sich alles durchaus in Ordnung. Nun trug er in das blaue Heft ein:
»Möglichkeit zur Beobachtung von H. P. heute durch G. L. sichergestellt.«
Hier stand schon viel. Auch das vom Ohrring. Auch sozusagen Theoretisches. Manches war durchgestrichen. Castiletz hatte sich geradezu das Schreiben angewöhnt.
Das Abendessen wurde gebracht, lautlos und rasch deckte der Kellner den Tisch hinter Conrad, welcher am Schreibtische sitzen blieb, und verschwand. Ah Castiletz der Speisen und des Weines, den er hatte bringen lassen, ansichtig wurde, packte ihn eine Art Heißhunger; zugleich empfand er jedoch eine stark hervorbrechende Schläfrigkeit (jetzt, nachdem alles für morgen geordnet war). Die halb verdämmerte Nacht im Zuge machte sich geltend.
Indessen reiste er weiter in irgendeiner Weise, auch bei Nacht hier im Hotel, und sein Schlaf blieb von Bewegung erfüllt. Anfangs waren es richtige Eisenbahnzüge. Jedoch zerfielen diese bei währender Fahrt meistens, die Wagen wurden sozusagen immer offener, es war immer weniger von ihnen vorhanden, man ging eigentlich auf den Geleisen: und doch blieb das eine Eisenbahnfahrt. Es hieß einfach so. Die Eisenbahn bestand aber ihrerseits wieder zum größten Teile nur aus Schläuchen oder Rohren, die nicht einmal gebaut waren, sondern dadurch entstanden, daß man sich im Innern eines sehr langgestreckten Molches bei unaufhörlichem Summen der Fahrt bewegte.
Jedoch unter all diesen Träumen schlief er gut, durchgehend, und ohne mehr als ein – oder zweimal angenehm und flüchtig zu erwachen. Darum war Castiletz am Morgen frisch. Er saß durch Augenblicke im Schlafanzug auf dem Bettrand und versuchte eine Art Rhythmus wiederzuerkennen, der unausgesetzt in ihm umging. Dabei stellte er sich die kleine, warme, bunte Bibliothek Günthers dort in der Keithstraße vor.
Freilich, es war dieses lateinische Gedicht! Das konnte man nun hier nicht nachschlagen. Da ...!
. . . arida modo pumice expolitum!
»Pumice expolitum« – tum – tum – tum – ja, das war’s, dieses: »pumice expolitum«. In diesem Rhythmus war er bei Nacht durch die Tunnels gefahren. Nun erinnerte sich Castiletz, gewissermaßen befriedigt und beruhigt, einzelner Bruchstücke aus seinen Träumen.
Nicht lange nachdem der Page zu schicklicher Zeit mit den Karten abgefertigt worden war, klingelte das Telephon. Direktor Klinkart. Man wolle sich zunächst bei einem Frühstück, oder eigentlich einem Lunch, hier unten im Restaurant treffen, das sei nach allgemeiner Ansicht das Beste und Zwangloseste. Einzelne Herren müßten wohl auch erst mit den anderen bekannt werden (»ist ja bei Ihnen so der Fall«), na, und gut denn, auf diesem Wege könne sich alles einleiten.
Das kleine Restaurant war fast in den gleichen Farben gehalten wie Günthers Bibliothek, was Castiletz seltsam berührte. Überall wies der rauhe körnige Stoff von Bespannungen und Polsterlehnen jenes dunkle Fleischrosa. Fast alle Tische waren leer. Eine Bar gab es hier auch, mit hohen Hockern. An diesen Gestellen entlanggehend erblickte Castiletz die Herrengesellschaft im Raume nebenan, wo mehrere Tische zusammengerückt worden waren. Conrad ging geradewegs auf den Direktor Klinkart zu (laut Beschreibung), stellte sich vor und sagte bescheiden: »Ich hatte heute vormittag schon am Telephon das Vergnügen, Sie zu sprechen, Herr Direktor.« Es mag schon sein, daß dieses kleine Manöver auf Klinkart und vielleicht auch auf die ihm zunächst Sitzenden in irgendeiner Weise überraschend und dabei nicht unangenehm wirkte: Castiletz hatte sich damit jedenfalls gut und gelenkig eingeführt, ohne jede steife Zwischensituation, denn nun ging’s glatt durch die Reihe, er wurde allen vorgestellt. Von da ab lag Conrad stets im richtigen Fahrwasser und er empfand das (zugleich mit der bemerkenswerten Einsicht, daß er vor Jahr und Tag noch keineswegs in der Lage gewesen wäre, von Eisenmanns Winken so sinngemäßen Gebrauch zu machen, was jetzt erst durch ihm gewissermaßen neu zugewachsene Fähigkeiten möglich war . . .). Von den Anwesenden kannte Castiletz nur zwei, und diese sehr flüchtig, aus dem Hause des Geheimrates. Die übrigen vermochte er jedoch leichtlich in die Eisenmannsche Skala einzuteilen, welche kaum irgendwelche Lücken aufwies.
Klinkart schien hier den Vorsitz zu führen, und zwar anscheinend ohne daß er dies überhaupt wollte. Jedoch, man sprach ihn an, man wandte sich
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