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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Besprechung statt, bei welcher Castiletz einem Herrn gegenübersaß, den er früher nicht gesehen hatte. Der Name war anläßlich der flüchtigen Vorstellung kaum zu verstehen gewesen; doch hätte es sich hier recht wohl um einen blonden Zeus von Otricoli in Zivil handeln können, zwar ohne Bart, aber darum nicht weniger schön. Einer von den »Sekretären«, welcher schon gestern am Frühstück teilgenommen hatte – also gewissermaßen in Vertretung des Gottes – saß bei ihm. Diese elegante Hilfskraft hieß Nernstel, das wußte Castiletz bereits. Der Gott übrigens, wenn ihn jemand ansprach, antwortete meistens nicht, es sei denn durch Heben der Augenbrauen, beiläufig zustimmendes Senken oder zweifelndes Wiegen des Hauptes. Diesem bedeutenden Schweigen aber eignete, wie man bald spüren konnte, eine mindestens ebenso penetrante Wirkung wie der scharfsinnigsten Rede, es übte gewissermaßen einen Druck nach allen Seiten aus. Im Grunde handelte es sich hier um gar nichts anderes als um eine Applizierung der Klinkartschen kleinen Pause vor jeder Antwort, nur in hundertfach verstärkter Dosierung, wobei eben die Antwort dann überhaupt entfallen konnte, was das Verfahren entschieden vereinfachte, ohne dem Erfolg in Ansehung der Bedeutung und Gravität (in usum gravitatis) irgendwelchen Abbruch zu tun. All diese hervortretenden Umstände machten es für Castiletz verhältnismäßig leicht, das in Frage kommende Stück mit Hilfe der Eisenmannschen Skala zu bestimmen, in welche er ruhig blicken konnte, da hier fast jedermann einen Schreibblock oder dergleichen in der Hand hielt oder vor sich liegen hatte (Zeus nicht – dazu war der Sekretär da). Conrad sah also nochmals flüchtig auf sein Gegenüber und sodann in das Notizbuch, worein der Direktor geschrieben hatte. Hier stand:
    Blond, schön, etwas schwammig: Generaldirektor Kötl (folgte Name der Firma). Recht wohlwollend aus den Wolken. Ermuntert gerne, besonders junge Leute, sozusagen berufsmäßiger Schulterklopfer. Vor allem aber: bedeutender Schweiger. Vollidiot, der es jedoch zum Weltweisen gebracht hat, infolge Durchhaltens seiner Pose. Nicht zu unterschätzende Leistung.
    Seltsam war, daß beide Namen, sowohl der des Herrn wie der des Knechtes, etwas Deminutivisches an sich hatten – Kötl und Nernstel. Eisenmann aber war unverwüstlich! Castiletz liebte ihn in diesen Augenblicken. Er begriff auch, daß die »nicht zu unterschätzende Leistung« durchaus ernst gemeint war (man versuche es bloß einmal, so recht bedeutend zu schweigen! Hier liest sich das freilich leicht, aber in der Praxis wird man schon sehen, daß es sich dabei um eine Kunst handelt!).
    Kaum hatte Castiletz von der Eisenmannschen Skala Gebrauch gemacht, als etwas schlagartig Überraschendes geschah.
    Zeus sprach.
    Sogleich wandte sich ihm die gesamte Aufmerksamkeit zu. Was er sagte, war schön. Was er gesagt hatte, war hintennach unmöglich anzugeben. Vielleicht lag hierin der Grund, warum sein Sekretär jedes Wort des Generaldirektors auf dem Block mitschrieb. »Was schreiben Sie denn da, Nernstel?« fragte dieser beiläufig, nachdem er geendet hatte, und sah nach dem Block. »Ich notierte lediglich für mich selbst, was Herr Generaldirektor sagten«, erwiderte der Sekretär halblaut und bescheiden, »des Lernens wegen.«
    Castiletz konnte es hören. So weit war er in seinem ganzen kurzen Leben noch nicht gegangen (wäre auch bei Eisenmann verdammt schlimm damit gefahren). Hier schienen völlig neue und ihm bisher unbekannte Methoden in Übung zu stehen. Er konnte später auch feststellen, daß solche Übung niemals ruhte, auch außerhalb der eigentlichen Besprechungen nicht. Wenn man etwa Grumbach als gefährlichen Konkurrenten bei einem Nuttchen zu behandeln verstand, oder auf Wedderkopps Großzügigkeit als auf eine allbekannte, ja sozusagen sprichwörtliche Tatsache anspielte, so war dies auch nichts anderes.
    Gelegentlich dieser in Gruppen stattfindenden Ausgänge, Ausflüge ins Genußleben der Weltstadt, war es übrigens, daß Castiletz zu dem Bewußtsein kam, während seines Berliner Aufenthaltes in keiner guten Haut zu stecken (wie es gemeiniglich heißt), zumindest aber in einer besonderen Haut, die ein besonderes Lebensgefühl verlieh. Er hielt in solchen Nächten durch und hielt aus bei diesen Herren, während er sozusagen mit einem Fuße in einer Art von Abwesenheit stand: man wird annehmen, daß diese »Abwesenheit« etwa den Fall Henry Peitz bedeute. Aber so verhielt es

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