Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
sich eigentlich nicht. Jener Fall wurde doch – trotz aller heiter-sportlichen Ansätze! – im Grunde nicht anders und auf derselben Ebene betrieben wie die Konferenzen, wie die Vergnügungen, oder die Ausflüge in die Umgebung von Berlin, welch letztere allerdings mißlangen durch das Wetter. Zu Potsdam, als man dort in Automobilen bei noch blauem Himmel ankam, war es eiskalt, und diese Stadt, in der ein sozusagen ewiger sauberer und frischgewaschener Vormittag zu herrschen schien, umlagerte fremd das fremd in der Kälte stehende Schlößchen auf der Höhe. Die vornehm zurückgelehnte Vergangenheit in ihrer längst unpersönlich gewordenen Vollendung blieb hinter einer luftleeren Schicht gegenüber dem sich verbergen wollenden oder sich blitzartig zeigenden Leid des völlig beiläufigen gerade hier und jetzt gegenwärtigen Menschen. Castiletz zögerte auf der Terrasse von Sanssouci, wo der rosige Schaum der Magnolienbäume fest und geballt in einer Luft stand, welche die Blüten nicht umspielte, so daß des herrlichen Gewächses Kontur keine Auflösung fand, sondern hart vor dem Himmel starrte, in dessen Rand rückwärts die spitze Nadel der Erlöserkirche stach. Auch dieser seltene Anblick wurde von Conrad hingenommen, wie alles, was er sah: mit dem dumpfen Gefühle der Möglichkeit, neue Augen zu bekommen, die er jetzt aber noch nicht hatte. Und so blieb es bei einer Art von Warten, bis solch eine Sehenswürdigkeit nun wieder vorbei war, ebenso wie jene Vergnügungen, wenn man des Nachts in sein Hotel heimkehrte. Auf der Rückfahrt durch den stehenden Farbendreiklang dieser sehr fernsichtigen und wehmütigen Landschaft, einen Dreiklang aus hellen Explosionen der Baumblüte, dem glasigen Grün jungen Laubes, beides von dem dunklen, verhaltenen Ton der Kiefernwälder gleichmäßig getragen – auf dieser Rückfahrt hielt man beim Schlachtensee, um ein wenig den schönen Uferweg entlang zu gehen. »Sehen Sie mal«, sagte einer von den Herren, »hier kann man sommers in ein Motorboot steigen und bis zur ›Krummen Lanke‹ durchfahren.«
    So etwas wäre lockend gewesen. Der See zog sich zwischen die Wälder hinein, weich spiegelnd nach links und rechts gewandt, dort drüben mit seiner Wasserfläche unter Trauerweiden verschwindend. Aus dem Spaziergange wurde nichts. Über den Kiefern, welche bald schwarz sich zusammenschlossen, wuchs eine Wolkenbank handhaft auf, man sah zu, daß man in die Wagen gelangte, schon fielen die ersten Eiskörner, dann Schnee. Überall lag er bereits zart geschüttet in den Wäldern.
    Nein, wenn Conrad sich häufig unter diesen Herren nicht ganz anwesend fühlte, so war es keineswegs der »Fall H.P.«, oder etwa sein geringeres Alter (freilich liegt es nahe, hier daran zu denken), was den Urgrund seiner halben Abwesenheit ausmachte. Sondern, bei aller innerer Bescheidentlichkeit, die ihm, wie man gerne zugeben wird, eignete, erhob sich in ihm die deutliche Empfindung, dieser ganzen Umgebung etwas – voraus zu haben. Und das war nun bei unserem Castiletz etwas völlig Neuartiges! Nur wußte er nicht, was er ihnen etwa voraushaben könne. Jedoch die, wie ihm schien, völlig festgelegte und daher überschaubare Art all dieser Männer, zu arbeiten, zu leben und sich zu amüsieren, setzte sich so sehr als ein gleichsam Abgeschlossenes, Verpacktes oder Verkapseltes gegenüber dem ab, was er neuestens an Möglichkeiten in sich kennengelernt hatte (oder zu fühlen glaubte), daß Conrad es fertigbrachte, nicht nur außen zu stehen, sondern sogar – Nachsicht, Geduld, ja selbst Verständnis zu haben. Als ein gleichsam Fremder, als ein letzten Endes von allem, was diesen Kreis ernstlich bewegte, Unabhängiger (und das war er nun gar nicht!). So kam es, daß etwa ein moros-zurückhaltend beginnender Nuttenauftakt Grumbachs in der rot ausgeschlagenen Loge eines Champagnerlokales seine Geduld keineswegs auf die Probe stellte, sondern daß er geradezu wohlwollend Zusehen konnte, wie jener allmählich dabei warm wurde. Ja, er unterstützte den Generaldirektor, indem er etwa mit betontem Respekt das Wort an ihn richtete, um sich gleich danach, völlig von ihm und besonders von dem Gegenstande seines Wohlgefallens absehend, mit jemand anderem zu unterhalten. Seltsam, daß er hier fast bei der gleichen Türe herauskam, wie gewisse Methodiker . . .
    Auf der Bühne gab es einen Wirbel von Beinen, gepuderte Beine, bis an die Höschen gepudert. Die Musik spielte etwas, das wie »pumice expolitum – pumice

Weitere Kostenlose Bücher