Ein Mord den jeder begeht
bezeichnet werden muß.
Bei so gefestigter Lage, deren Waagebalken ausgeschwungen hatte, saß Conrad am Teetisch der Frau Gusta Veik, betrachtete Louisons Kinderbilder, in wahrer Versunkenheit, und ließ sich von ihr erzählen. Hier öffnete und lüpfte sich wieder und wieder ein ferner Himmelsrand unbegreiflichen Ausblicks, matten Scheins, auch vor dem Bilde der Toten, das er nun erstmals bei Tageslicht sah.
Frau Veik streifte die Photos zurück in die Kassette, und schob diese beiseite, mit einer kleinen milden waagrechten Bewegung der Hand Schweigen über das Thema breitend, das zwischen ihr und Conrad besprochen worden war: denn man hörte nun den Schritt Mariannens draußen in der Halle und auf der Treppe von Holz.
Wie immer verdeckte sie – und sofort mit ihrem Eintritte – für Conrad den eben noch geöffneten zarteren Horizont. Ihr eignete nichts Unendliches, ihr flog nichts an von den Fernen des Himmelsrands. Sie bedurfte dessen nicht, ein begrenztes Gefäß, mit bekanntem, und doch so übermächtigem Inhalte.
Meist saßen sie zu dritt beim Tee. Mitunter kam der Präsident hinzu, dann trank man Wachenheimer Luginsland. Auch Herr von Hohenlocher kam, Frau Manon geleitend; alles war ihm vollkommen gleichgültig, jedoch nichts entging seiner Kenntnisnahme. Marianne und Conrad wurden ein oder das andere Mal von der Geheimrätin zusammen eingeladen; dort saß man dann ebenfalls zu dritt, denn sonst ward niemand erwartet. Wie eine anmutige und geschmückte Schale bot sich all diese Familiarität dar; und Conrad mußte wohl – trotz seines bescheidentlichen Wesens – dessen inne werden, daß inmitten dieser Schale sich Marianne und er befanden, während die anderen vom Rande her wohlwollend zusahen.
Im Vorfrühling, nach den letzten Ballfesten, wurde das stille Verlöbnis der Gesellschaft bekanntgegeben. Jedermann hatte es so und nicht anders erwartet; am allerersten Herr Peter Duracher, dessen Prophezeiung schon zu Anfang des Winters erfolgt und daher längst verbreitet war. Denn Duracher kam überall hin; zur Freude der Frauen und, trotz seines reifen Alters, sogar der Mädchen. Deren Mütter schienen weniger begeistert, als Tänzer ihrer Töchter einen geschiedenen Mann zu sehen, der seiner einstmaligen Gattin gegenüber sich zu sehr bedeutenden Leistungen hatte verpflichten müssen, was darauf hinzuweisen schien, daß die Schuld an ihm gelegen war . . . auch das wußte man längst alles. Jedoch, der bräunliche Sportgott tanzte wie kein Zweiter, und man hörte außerdem, daß er eine Kanone im Skilauf sei und sich darin sogar mit den knifflichen Vorarlbergern habe messen können.
Duracher also war einer von jenen gewesen, die hinter Marianne Veik – bei dem ersten Empfang im Hause ihres Vaters – den kleinen Salon mit den topasfarbenen Lampenschirmen betreten hatten, wo Marianne, zwischen den Türpfosten von Ebenholz stehend, die drei Herren vor dem Bilde ihrer verstorbenen Schwester erblickte.
Man hatte Marianne und Conrad eine allzu lange Verlobungszeit nicht auferlegt. Immerhin zog sie sich durch ein von außen herantretendes Ereignis noch weiter hin, als festgesetzt war.
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Die Beurteilung, welche die Verbindung in der Gesellschaft der Stadt fand, war je nachdem entweder von der Vorstellung beherrscht, daß Conrad einfach sein Glück gemacht habe, oder man unterstrich, daß Marianne, ein um so viel älteres und durch keinerlei besondere Gaben ausgezeichnetes Mädchen, mehr als zufrieden sein könne mit solch einem hübschen und jungen Gatten (den sie ohne ihr vieles Geld nie bekommen hätte, das unterließ wohl keiner zu sagen oder mindestens bei sich zu denken). Daß ja am Ende auch beide zunächst verliebt und glücklich sein könnten, fiel niemandem ein anzunehmen. Der Altersunterschied erzeugte da und dort Bedenken, und zwar äußerte sich in diesem Sinne auch der alte Eisenmann, welcher meinte, Conrad werde es nicht leicht haben.
Im übrigen beglückwünschte er das »Bürschle« herzlich und einfach, mit Knüffen und Püffen. Das geschah etwa um vier Uhr an einem diesigen Frühjahrsnachmittage in Eisenmanns Büro, wo Conrad sich zum Gehen fertig machte, denn er sollte jetzt das Werksauto nehmen und in die Tuchfabrik zum Geheimrat fahren. Eisenmann wünschte dessen Meinungsäußerung über den Entwurf zum Steuerbekenntnis der Gurtweberei, das abgeschlossene Jahr betreffend. Conrad nahm diesen ziemlich umfänglichen Schriftsatz in einer Tasche von Schweinsleder an sich und fuhr los.
Der
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