Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
mir.« Sie spähte unter dem Regenschirm zu mir hinauf. »Werden Sie mich jetzt verhaften? Bitte nicht.«
»Nein«, sagte ich resigniert. »Nein, ich werde Sie nicht verhaften. Aber passen Sie auf sich auf, und bleiben Sie in der Nähe von Menschen, hören Sie?«
»Daisy hat gesagt, Sie wären in Ordnung«, vertraute sie mir an.
»Ich bin Daisy zu Dank verpflichtet«, erwiderte ich. »Gute Nacht, Rose.«
»Gute Nacht, Mr. Ross.«
Ich setzte meinen Weg fort, doch das Zusammentreffen mit dem Mädchen Rose hatte mich genauso überrascht, wie ihre Jugend mich deprimierte. Vielleicht war es der Gedanke an diesen durchtriebenen Ganoven Jed Sparrow, der zu Hause saß und darauf wartete, dass sie ihm das in der Nacht verdiente Geld brachte – was auch immer der Grund gewesen sein mag, ich drehte mich um und blickte zurück.
Rose stand da, wo ich sie verlassen hatte, unter ihrem Regenschirm, doch sie war nicht mehr allein. Offensichtlich hatte sie einen Kunden an der Angel. Sie redete mit einem gut gekleideten Gentleman, und eine Diskussion war im Gange – möglicherweise ging es um den Preis. Unvermittelt blickte der Mann auf und in meine Richtung, als hätte er gespürt, dass er beobachtet wurde, und ich erkannte im Licht der Gaslaterne, dass es Sebastian Benedict war.
Ich könnte sagen, meine erste Reaktion war Überraschung. Aber dieses Gefühl verklang genauso schnell, wie es gekommen war, um einem Durcheinander von Empfindungen zu weichen. Die beste Interpretation seiner Gegenwart war noch, dass er einfach unglücklich und einsam war nach dem Tod seiner Ehefrau und dass ihn diese Einsamkeit in die Stadt geführt hatte und zu einem der Freudenmädchen auf den Straßen Londons. Oder, und bei diesem Gedanken wurden Zorn und Empörung die vorherrschenden Gefühle, er war schon immer zu Prostituierten gegangen. Trotz seiner wunderschönen Ehefrau zu Hause gehörte er zu jener Sorte von Männern, die bei Prostituierten mehr Vergnügen und Erfüllung fanden. Es gibt mehr als genug gut situierte Gentlemen von dieser Sorte. Trotzdem war ich schockiert, dass Benedict allem Anschein nach einer von ihnen war.
Ich machte angeekelt auf dem Absatz kehrt und marschierte davon, doch schon bald darauf hörte ich eilige Schritte hinter mir, und eine Stimme rief meinen Namen.
»Ross!«
Ich blieb stehen und wartete. Benedict kam ziemlich außer Atem heran. Ich bemerkte, dass er zwar immer noch Trauerkleidung trug, doch er hatte den Seidenschal von seinem Zylinder entfernt. Seine Bediensteten hätten bemerkt, wenn er seine Garderobe vor der Fahrt in die Stadt gewechselt hätte, daher war er gezwungen, seinen Vergnügungen in tiefstes Schwarz gekleidet nachzugehen.
»Sie sind wahrscheinlich erstaunt, mich hier zu sehen«, sagte er. Sein Verhalten und seine Stimme waren eine einzige Herausforderung.
»Ich bin Polizeibeamter, Mr. Benedict«, antwortete ich. »Es gibt nicht viel, das mich in Erstaunen versetzen könnte.«
Die Kälte meines Tons entging ihm nicht. Ich bildete mir ein, ihn selbst im Licht der Gaslaterne erröten zu sehen. »Sie rümpfen die Nase über mein Verhalten!«, sagte er empört.
»Ich ermittle im Mordfall Allegra Benedict«, entgegnete ich. »Ihr Verhalten ist höchstens insofern von Interesse für mich, als es meine Ermittlungen berührt.«
»Verdammt!«, rief er aus. »Ich bin nicht der einzige Mann …« Er brach ab.
»In der Tat, Sir, das sind Sie nicht.« Mein Tonfall war nichtssagend.
»Aber ich bin noch in Trauer, und aus diesem Grund missbilligen Sie mein Hiersein«, fuhr Benedict fort. »Als ich Ihnen sagte, dass ich meine verstorbene Frau über alles liebte, entsprach das der Wahrheit«, sagte er, als ich nicht antwortete.
»Richtig, Sir«, entgegnete ich.
Er zögerte. »Ich möchte, dass Sie das verstehen, Ross … ich will es erklären … Meine Frau war … sie war ein Kunstwerk. Kein Bildhauer und kein Maler hätte eine vollkommenere Form erschaffen können. Ich hatte stets Angst, dass sie … dass sie schwanger werden könnte.«
Jetzt war ich so verblüfft, dass er es sehen konnte. »Sie fürchteten , dass Ihre Frau schwanger werden könnte? Die meisten Paare hoffen inbrünstig darauf, eine Familie zu gründen.« Genau wie ich es mir zusammen mit Lizzie eines Tages vorstellte, wenn alles gut lief. »Doch das geht mich nichts an, Sir«, fügte ich entschuldigend hinzu, denn so merkwürdig es auch erscheinen mochte – es ging mich wirklich nichts an.
»Sehen Sie«, sagte er.
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