Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
verängstigen. Der Mörder von Allegra Benedict auf der anderen Seite war mit einer Schnur in der Tasche von zu Hause losgezogen. Er hatte von Anfang an Mord im Sinn gehabt.
Laut pflichtete ich Dunn bei und betonte, dass es keine rationale Handlung sei, sich in Leichengewänder zu hüllen und im Nebel herumzuschleichen, um ahnungslose Freudenmädchen anzugreifen. Insgeheim bezweifelte ich weiterhin, dass er bei der einen nur die Hände benutzte und bei der anderen eine Schnur, noch dazu beides in der gleichen Nacht. Doch das erwähnte ich Dunn gegenüber nicht, genauso wenig wie meine anderen Überlegungen. Er war nicht in der Stimmung, mir zuzuhören.
Noch am gleichen Tag machte ich die Bekanntschaft von Mr. Angelis, dem Geschäftsführer von Benedict. Wie vereinbart war Morris losgezogen, um zunächst den Juwelier Tedeschi aufzusuchen und anschließend nach dem Verbleib des ehemaligen Butlers der Benedicts zu forschen, Mortimer Seymour. Biddle, mit vor jugendlichem Eifer leuchtendem Gesicht, patrouillierte die Piccadilly und die umgebenden Straßen auf der Suche nach jungen Straßenfegern. Ich begab mich in die Fine Arts Gallery von Sebastian Benedict.
Die Fassade des Hauses auf der Südseite der Piccadilly war recht diskret und lag ganz in der Nähe des Green Park. Die Nähe der Galerie zum Park, wo die Leiche gefunden worden war, hatte sicherlich etwas zu bedeuten. Was, das vermochte ich jetzt noch nicht zu sagen. Ich war zu dem Schluss gelangt, dass ich längst noch nicht alles wusste. Was die Galerie anging, sie hätte auch das Geschäft eines Beerdigungsunternehmers sein können, so diskret kam sie daher mit dem vielen schwarzen Lack auf der Tür und in der Fensterauslage. Die Auslage war leer bis auf eine einzelne Landschaft in Öl auf einer Staffelei: ein Ausblick auf eine Stadt mit einer großen barocken Kirchenkuppel, gemalt von einem Standpunkt auf der anderen Seite eines die Stadt durchziehenden Flusses. Die Staffelei war umgeben von schwarzem Samt.
Die Tür war abgeschlossen, doch es hing kein »Geschlossen«-Schild aus. Ich nahm an, dass der Geschäftsführer, George Angelis, es für notwendig erachtete, gewöhnlicher Laufkundschaft den Zugang zu verwehren und nur Bona-fide-Klienten einzulassen. Außerdem blieben mögliche Käufer der Galerie gegenwärtig wohl eher fern, um nicht von Reportern gestellt und ausgefragt zu werden.
Um Zutritt zu erlangen, musste ich wiederholt an der Glockenschnur ziehen, bis schließlich ein junger Assistent auf der anderen Seite auftauchte und mir gestikulierend bedeutete, dass ich wieder gehen sollte. Natürlich. Mein Aussehen entsprach nicht dem eines wohlsituierten Kunden, im Gegenteil. Ich sah eher aus wie einer dieser neugierigen Reporter. Ich formulierte mit den Lippen das Wort Polizei, und das Gesicht des jungen Mannes nahm einen Ausdruck von Resignation an. Er entriegelte die Tür und ließ mich eintreten.
»Danke sehr«, sagte ich. »Mein Name ist Inspector Ross vom Scotland Yard.«
»Ja, Sir?«, sagte er und wartete höflich, dass ich erklärte, was ich wollte.
Ich war für einen Moment verwirrt. Er wusste mit Sicherheit, in welcher Angelegenheit ich gekommen war – sein Gesichtsausdruck vor meinem Eintreten hatte mir so viel verraten. Doch nicht allein deswegen, sondern auch, weil ich jetzt, ohne Glasscheibe dazwischen, von seinem Aussehen gefesselt war. Er war noch sehr jung, höchstens zweiundzwanzig, und er war schön. Ich war verblüfft über mich selbst, weil ich dieses Adjektiv für einen Mann verwendete, und doch war es passend.
Seine Gesichtszüge waren von geradezu klassischer Ebenmäßigkeit, wie man sie in der Regel höchstens bei antiken Statuen sieht, und sein Teint war äußerst hell. Sein Gesichtsausdruck war ernst und traurig, während er mit übereinandergefalteten Händen geduldig wartend vor mir stand. Ich fühlte mich an die Statue eines über einem Grab wachenden Engels erinnert. Wäre er nicht hier in der Galerie angestellt gewesen, er hätte auch sehr gut für einen Beerdigungsunternehmer arbeiten können. Nein!, verwarf ich den Gedanken augenblicklich wieder. Als Modell für einen Künstler, das war es. Ob er bereits Erfahrung damit hatte?
»Mr. Angelis?«, fragte ich hastig. »Ist er da?«
Der besorgte Gesichtsausdruck des Assistenten änderte sich nicht. »Mr. Angelis ist hinten im Büro, Sir. Ich werde ihm sagen, dass Sie hier sind.« Er wandte sich zum Gehen.
»Einen Augenblick noch, bitte«, hielt ich ihn auf.
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