Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
Benötigen Sie meine Dienste noch länger?«
»Heute nicht, Sir.«
»Dann fahre ich nach Hause.« Er wandte sich ab und ging zur Tür, ohne auf mich zu warten. Vor der Tür angekommen, wandte er sich um. »Ich hoffe, Sie bitten mich nicht ein drittes Mal hierher, um das Opfer eines Mörders zu identifizieren, den Sie anscheinend nicht zu fassen imstande sind.«
Aus dem Augenwinkel sah ich Scully grinsen, doch als ich ihn anblickte, war das Grinsen verschwunden.
»Der Gentleman scheint sich zu fangen, Sir«, sagte er mit ausdrucksloser Miene.
»Bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig«, erwiderte ich im gleichen Tonfall.
Draußen auf dem Gang ertönte der Lärm von Stimmen. Dr. Carmichael kam herein. Scully hastete wie üblich nach vorn, um ihm aus dem Straßenmantel und in den Kittel zu helfen.
»Guten Tag, mein lieber Ross«, begrüßte Carmichael mich. »Wie man hört, hat der Gentleman die Verstorbene identifiziert. Ich bin ihm draußen begegnet.«
»Isabella Marchwood«, sagte ich. »Wie wir bereits wussten.«
»Hm«, brummte Carmichael. »Das hier könnte Sie möglicherweise interessieren.« Er trat zu dem Marmortisch und schlug das bis zum Kinn der Toten reichende Laken noch weiter zurück.
Ein wenig unsicher trat ich an den Tisch. Ich gewöhne mich, wie es scheint, niemals daran. Die vertraute rote Linie zog sich über ihren Hals.
»Ich habe mir erlaubt, die Schnur zu entfernen«, sagte Carmichael. »Sie hatten sie ja bereits an ihrem Platz um den Hals der Toten gesehen, im Eisenbahnwaggon. Es gibt ein recht interessantes Detail.«
Er zog ein gefaltetes Blatt Papier hervor und klappte es auf. Zwei Stücke Schnur kamen zum Vorschein, identisch mit der Schnur um den Hals von Allegra Benedict. Carmichael blickte mich unter erhobenen buschigen Augenbrauen hervor an, während er darauf wartete, dass ich meine Beobachtung machte.
»Sie sind nicht miteinander verknotet«, sagte ich schließlich. »Im Gegensatz zu der anderen Schnur, nachdem Sie sie vom Hals der Toten geschnitten hatten.«
»Ganz recht. Sie sind nicht verknotet. Ich habe die Schnur durchtrennt, um sie vom Hals der Toten zu entfernen. Dabei fiel sie in zwei unterschiedlich lange Teile auseinander, wie Sie hier sehen. Sie war nicht doppelt verknotet wie beim ersten Mal. Damals vermutete ich, der Mörder wollte ganz sicher sein, dass sein Opfer nicht wieder aufwachte und davonkam. Diesmal machte er sich nicht die Mühe – oder vielleicht hatte er auch nicht die Zeit dazu, wenn er die Tat unterwegs in der Eisenbahn begangen hat. Er machte einen einfachen Knoten, zog ihn zu, bis er glaubte, dass sie tot war, dann ließ er sein Opfer liegen. Er hatte es eilig.«
»Ja«, sagte ich langsam, während ich auf die beiden unterschiedlich langen Stücke Schnur starrte. »Der Mord im Park, im dichten Nebel und der einsetzenden Dunkelheit war eine Sache. Aber im hellen Tageslicht, in einem Eisenbahnwaggon, wenn beim nächsten Halt jemand einsteigen konnte … das war sicherlich eine überstürzte Angelegenheit.«
Oder eine verzweifelte. Und dennoch … ich streckte die Hand aus und berührte eine der Schnüre mit den Fingerspitzen. »Ich mag Muster«, hörte ich mich laut zu Carmichael sagen. »Und in dieser Geschichte ist kein Muster, nur eine Anzahl von Vorkommnissen und Leuten, die an irgendeiner Stelle zusammenkommen und sich in verschiedene Richtungen voneinander entfernen.«
Carmichael stieß ein kurzes, unerwartetes Kichern aus. Er neigte nicht zu Humor, sodass ich ihn überrascht und fragend anstarrte.
»Haben Sie noch nie einen schottischen Folkloretanz gesehen, Inspector? Die Paare reichen sich die Hände, trennen sich, drehen sich, treten aufeinander zu, voneinander weg, wechseln den Platz, begeben sich ans Ende der jeweiligen Reihe und lösen dort ein anderes Paar ab … Wenn man es noch nie versucht hat und zum ersten Mal dabei ist, ist es verwirrend. Doch es steckt ein Muster dahinter, ganz sicher, und sobald ein Anfänger dieses Muster erst begriffen hat, ist er auf und davon und wirbelt fröhlich mit den anderen durch den Saal.«
»Wir hätten ihn längst finden müssen«, sagte Morris traurig. »Dann wäre die arme kleine Frau jetzt noch am Leben.«
Er sprach nur laut aus, was ich mir selbst schon ein Dutzend Mal vorgeworfen hatte seit dem Anblick von Isabella Marchwoods zusammengesunkenen Leichnam auf dem Sitz in diesem Zugabteil in Waterloo. Doch es hatte wenig Sinn, mich von seiner Niedergeschlagenheit anstecken zu
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