Ein nackter Arsch
Gesine Mollet gekündigt?“
„Ich nehme an, sie wollte sich verändern“, sagte der Personalchef, doch Simarek merkte Jacques Pirrot an, dass ihm unwohl war. Dennoch unterbrach er diesen nicht.
„Frau Mollet hat ihren Vertrag ohne Angabe von Gründen gekündigt. Sie hat auch ein Gespräch mit mir abgelehnt, oder genauer, sie hat auf mein Gesprächsangebot auf ihrem Anrufbeantworter nicht reagiert. Die Kündigung kam schriftlich, danach war sie für uns nicht mehr zu erreichen. Ich habe dann noch mit Herrn Schmidtbauer gesprochen…“
Pirrot brach jäh ab, als er den warnenden Blick von Duvall bemerkte.
„Ja bitte?“, ermunterte Simarek Pirrot, weiterzusprechen.
„Na ja, Herr Schmidtbauer gab dann die Anweisung, ich solle mich nicht weiter bemühen. Daran habe ich mich gehalten.“
„Welche Aufgabe hatte Gesine Mollet denn in Ihrer Firma?“ fragte Michelle Huppert und als Simarek die Antwort hörte, war er sofort dankbar, dass die französische Kollegin ihn begleitet hatte.
„Frau Mollet war die persönliche Assistentin von Herrn Schmidtbauer“, antwortete Emilie Schrader.
„Man konnte es riechen“, sagte Michelle Huppert, als sie und Simarek wieder im Auto saßen. „Da war was, und keiner will drüber sprechen. Und jetzt sind beide tot.“
„Sie war die persönliche Assistentin von Schmidtbauer“, dachte Simarek laut nach. „Das heißt, es muss ein Vertrauensverhältnis bestanden haben zwischen Gesine Mollet und ihrem Chef.“
„Ja, nur wie weit ging das? Wie vertraut waren sie? Und warum kündigt sie dann Hals über Kopf?“ Wenn Michelle Huppert, ‚als über Kopf‘ sagte, klang das besonders charmant.
„Vielleicht hatte sie was mit ihrem Chef. Kommt ja vor, so etwas. Und dann wollte sie sich plötzlich verändern“, meinte Simarek. Ihm war klar, wie er das Schweigen der ASP -Führungsetage zu deuten hatte. Wenn es tatsächlich eine Beziehung zwischen Gesine Mollet und Schmidtbauer gegeben hatte, dann war diese vielleicht nicht ganz unproblematisch gewesen.
„Und jetzt sind beide tot“, zitierte Simarek seine französische Kollegin nachdenklich. „Aber er liegt tot und mit nacktem Arsch nach oben am Saarufer, und sie nimmt sich zweihundertfünfzig Kilometer weiter nordwestlich in einer Nobelabsteige das Leben. Wie passt das zusammen?“
„Ich ’abe keine Ahnung“, sagte Michelle.
Mit zwei Küsschen links und rechts verabschiedeten sich Simarek und Michelle und verabredeten, in Kontakt zu bleiben. Es war klar, dass der Kommissar ASP Internationale ein weiteres Mal würde besuchen müssen. Vielleicht konnte er ja beim nächsten Mal etwas mehr Informationen aus den Mitarbeitern von Alfons Schmidtbauer herauskitzeln. Fürs Erste hatte er wenigstens seine Visitenkarte hinterlassen mit dem in Fernsehkrimis so erfolgversprechenden Hinweis: „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann rufen Sie mich an.“
„Hier ist Emilie Schrader.“ Simarek war kaum zurück im Kommissariat gewesen, da hatte das Telefon geklingelt. Und Simarek war gelinde überrascht, die Chefsekretärin von Alfons Schmidtbauer in der Leitung zu haben. Sollte der alte Spruch mit der Visitenkarte tatsächlich gezogen haben?
„Ist Ihnen noch etwas eingefallen?“, fragte Simarek und hoffte, dass er den ironischen Unterton dabei verbergen konnte.
„Es gab Gerüchte.“
„Was für Gerüchte?“
„Über das Verhältnis zwischen dem Chef und Gesine Mollet. Dass da mehr war als rein Dienstliches. Aber offensichtlich war das nicht.“
„Sie meinen, weder Herr Schmidtbauer noch Frau Mollet haben das an die große Glocke gehängt? Sie blieben diskret?“
„Ja. Aber trotzdem waren an Gesine Mollet Veränderungen spürbar. Nun ja, eine Stimmungskanone war sie nie, dem Betriebsfest blieb sie grundsätzlich fern, und ich fand sie eigentlich immer ein bisschen seltsam…“
„Aber?“, hakte der Kommissar nach.
„Aber mir kam es fast so vor, als sei Frau Mollet vor ihrer Kündigung noch trauriger gewesen. Und sie schien mir irgendwie unter Druck zu stehen. Das ist natürlich jetzt auch schon sehr lange her, aber meine Erinnerung an ihren Gesichtsausdruck ist trotzdem noch sehr frisch. Sie hatte so etwas Zerbrechliches, Leidendes. So als trüge sie das Kreuz der Welt.“
„Ich denke, ich weiß, was Sie meinen.“ Der Kommissar erinnerte sich an seinen Besuch bei Gesines Eltern.
„Ich glaube, es gibt so Menschen“, fuhr die Chefsekretärin fort, „die sind nicht dafür gemacht, glücklich zu sein.
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