Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
mich mit eigenen Augen davon überzeugen. Voller Verwunderung stellte ich fest, dass aus einem Hahn roter Wein und aus dem zweiten frisches Wasser floss. Ich war tapfer, widerstand, trank keinen Wein und ging weiter. Irgendwann vermisste ich meine Mütze, die am Rucksack befestigt war. Der böige Wind hatte sie weggeblasen. Während einer Pause stießen Lotti und Yvonne erneut zu mir. Gemeinsam wanderten wir bis Villamayor de Monjardín, wo wir in der Herberge, die im Jahre 2000 von niederländischen Christen eröffnet worden war, Quartier bezogen.
An einem Tisch saß ein junger Mann, der meine Mütze auf seinem Kopf trug. Der aus Alaska stammende Pilger teilte meine Begeisterung nicht, als ich ihm zu verstehen gab, dass es sich um meine Mütze handelte und ich sie zudem auch noch zurückhaben wollte. Mit einem verlegenen Lächeln reichte er sie mir. Wir fühlten uns wohl in der Herberge. Die Niederländer verwöhnten uns mit einem guten Abendessen, bei dem ich Alice aus München kennen lernte.
Von Villamayor de Monjardín startete ich am nächsten Morgen um sieben mit vollen Wasserflaschen. Die Herbergseltern hatten uns geraten, reichlich Wasser mitzunehmen, weil sich die nächste Quelle in zwölf Kilometer Entfernung befinden würde. Es war frisch und stark bewölkt. Hin und wieder blieb ich stehen, lauschte dem fröhlichen Gesang der Vögel, die ihr heiteres Liedchen in den neugeborenen Tag trällerten, als sei ihnen bewusst, dass sie diese schöne Welt um ein Vielfaches bereichern. Aus der Ferne trieb eine dunkle Wolkenwand auf mich zu, die nichts Gutes verhieß. Minuten später fielen die ersten dicken Regentropfen.
Nach zwölf Kilometern und wenig Regen erreichte ich Los Arcos, wo mir erneut Yvonne und Lotti über den Weg liefen, mit denen ich in einer Bar ein zweites Frühstück einnahm.
Weil ich noch zur Bank musste, um meine Finanzen aufzufrischen, verlor ich die beiden Schweizerinnen wieder aus den Augen. Auf dem Weg, der aus Los Arcos hinausführte, kamen mir irgendwann meine heiß geliebten gelben Pfeile abhanden. Ein hilfsbereiter Einheimischer wies mir den richtigen Weg, auf dem ich mich kurze Zeit später in Gesellschaft einer Frau aus Österreich wiederfand, die in Mexiko lebte, wie sie mir während unserer kurzen Begegnung erzählte.
Mittlerweile zeigte der Himmel ein freundlicheres Gesicht. Die Sonne schien nun bei leichter Bewölkung. Von einem Rastplatz strahlten mir drei fröhliche Gesichter entgegen, Lotti, Yvonne und Alice. Am frühen Nachmittag erreichten wir gemeinsam Torres del Rio, wo sich die achteckige romanische Kirche des Heiligen Grabes befindet. Sie stammt aus dem 12. Jh. und gleicht der von Eunate. In ihrem Innern bewahrt sie, außer einem gotischen Kruzifix, keinerlei Schätze mehr auf.
Glücklicherweise ergatterten wir in der Herberge die letzten Betten. Pilger, die nach uns kamen, mussten sich mit einer Matratze auf dem Boden begnügen. Als auch diese vergeben waren, blieb den Nachkommenden nichts weiter übrig, als weiterzuwandern oder draußen vor der Kirche auf ihrer Isomatte zu übernachten. Die Herbergseltern erzählten uns, dass sich in diesem Jahr außergewöhnlich viele Pilger auf dem Weg befänden und es bei der Bettenvergabe öfter zu Engpässen käme. Mittlerweile hatte ich in Erfahrung bringen können, dass viele Pilger sich bewusst nicht im vergangenen Heiligen Jahr auf Pilgerschaft begeben hatten, um die Massen zu meiden. Deshalb befanden sich in diesem Jahr ungewöhnlich viele auf dem Jakobsweg.
Die Herberge war mit etwa 30 Doppelbetten ausgestattet, zufriedenstellend und sauber. Ich nickte einigen bekannten Gesichtern zu, als ich von der Dusche zu meinen Schlafplatz ging. Am frühen Abend machte ich mich auf den Weg zur Kirche, in der eine Pilgermesse abgehalten wurde. Nach der Messe freute ich mich auf ein Abendessen, das ich mit vielen anderen Pilgern in einem urwüchsigen Restaurant in der Nähe der Herberge einnahm. Mit mir am Tisch saßen Paolo und Renato, zwei gutgelaunte Italiener, die mit einer jungen Schweizerin unterwegs waren. Renato offenbarte mir auf seine unnachahmliche humorvolle Art, dass er und sein Freund Paolo gemeinsam 100 Jahre alt seien. Als ich ihm mitteilte, erst ein Alter von 49 Jahren aufzuweisen, meinte er lauthals lachend, dass ich ja noch ein Baby sei. Es war ein wundervoller Abend, an dem viel gelacht wurde. Um zehn lag ich in meinem Bett und stopfte mir vorsichtshalber Ohropax in die Ohren.
Nach einer ruhigen Nacht begann ich
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