Ein neues Leben auf dem Jakobsweg
Denkmal, das an den Besuch von Papst Johannes Paul II. erinnerte, gewürdigt hatte, wanderte ich bergab an der größten Herberge des Jakobsweges vorbei, in der sich 3.000 Betten befinden, und die größtenteils als Studentenwohnheim genutzt wird. Für Pilger sind 450 Betten vorgesehen, im Sommer 800.
Fünf Kilometer noch bis zur Kathedrale. Mein Herz schlug höher. Meine Gefühlswelt war in Aufruhr. Vor meiner Pilgerschaft hatte ich mir vorgenommen, alleine in Santiago einzuwandern. Und genau das erfüllte sich eine Stunde später. Als ich das Ortseingangsschild von Santiago erblickte, war es um mich geschehen. Ich verfiel in ein heftiges Weinen und musste gleichzeitig lachen. Es war ein überwältigendes Gefühl, am Ziel angekommen zu sein. Ich hab’s geschafft, ich hab’s geschafft. Ich habe mein Ziel erreicht. An einer Gedenkstätte berühmter Pilger gönnte ich mir eine letzte Rast. Nachdem ich mich von meinen prominenten Vorgängern verabschiedet hatte, ging ich langsam weiter Richtung Innenstadt. Einige Male fragte ich nach dem Weg zur Kathedrale. Freundlich wurde er mir gewiesen. Kurz bevor ich die Kathedrale erreichte, sprach mich eine alte, kleine schwarzgekleidete Frau an, die mir ein Zimmer vermieten wollte. Ich gab ihr zu verstehen, dass ich zuallererst die Kathedrale aufsuchen wolle und vielleicht später auf ihr Angebot zurückkommen würde. Als ich vor der 75 Meter hohen Kathedrale stand, verschlug es mir den Atem.
Langsam stieg ich die breiten, grauen Steinstufen hoch und begab mich in das Innere der Kathedrale. Andrea aus Italien stand vor der Säule vom hl. Jakobus und legte seine Hand, der Tradition folgend, auf die Füße des Apostels und seinen Kopf auf die Skulptur des Baumeisters Mateo. Ein Bild, das mich tief berührte. Ich setzte mich in eine Bank und schaute auf den Altar. Es war ein erhabenes Gefühl. Emotionen kamen und gingen. Gedanken und Bilder schäumten auf und verabschiedeten sich im gleichen Moment wieder. Menschen tauchten vor meinem inneren Auge auf. Wie hatte ich diesen Augenblick herbeigesehnt.
Anschließend ging ich zur Krypta, wo sich die Gebeine vom hl. Jakobus befinden. Vor der Grabkammer kniete ich mich nieder. Ehrfurcht erfüllte mich bei dem Gedanken, dass sich dort die Gebeine eines Jüngers Jesus Christus befinden. Ich bedankte mich bei Santiago. Dann folgte auch ich der Pilgertradition, ging zur Säule von Jakobus, legte meine Hand zu Füßen des Apostels und meinen Kopf auf das Bildnis von Mateo. Seltsamerweise fühlte sich der glatte Stein nicht kalt an. Er strahlte Wärme aus, eine wohltuende Wärme, die sich in meinem Körper ausbreitete. Bevor ich die Kathedrale verließ, nahm ich noch einmal bewusst die besondere Atmosphäre des prächtigen Monuments aus dem 11. bis 13. Jh. in mich auf.
Vergebens hielt ich nach der Frau Ausschau, die mir ein Zimmer angeboten hatte. Daraufhin ging ich ins Pilgerbüro mit dem Vorhaben mein Zertifikat ausstellen zu lassen. Die Absicht, meinen neuen Namen »Manolo« in der Urkunde verewigen zu lassen, fand bei den Mitarbeitern keine Zustimmung. Alles Lamentieren und Diskutieren nutzte nichts, es musste alles seine Richtigkeit haben. Mein Erbitten schien allerdings zur allgemeinen Heiterkeit beigetragen zu haben. Als ich die Urkunde in meinen Händen hielt, erfüllte sie mich mit Stolz.
»CAPITULUM hujus Almae Apostolicae et Metropolitanae Ecclesiae Compostelanae sigilli Altaris Beati Jacobi Apostoli custos, ut omnibus Fidelibus et Peregrinis ex toto terrarum Orbe, devotionis affectu vel voti causa, ad limina Apostoli Nostri Hispananiarum Patroni ac Tutelaris SANCTI JACOBI convenientibus, authenticas visitationis litteras expediat, omnibus et singulis praesentes inspecturis, notum facit: DuuneFranciscum Iosephum Link hoc sacratissimum Templum pietatis causa devote visitasse. In quorum fidem praesentes litteras, sigillo ejusdem Sanctae Ecclesiae munitas, ei confero.
Datum Compostelae die 30 mensis Maii anno Dni 2005.
»Franz-Josef« ist der Name, der auf meinem Personalausweis steht, den ich allerdings von Kindesbeinen an nicht mochte. Nie in meinem Leben fühlte ich mich als »Franz-Josef«. Die Namen meiner Freunde, Martin, Gerd oder Peter, hätte ich liebend gerne angenommen. Nun hieß ich Manolo. Der Name gefiel mir. Ich fühlte mich als Manolo. Mano ließ ich auch noch gelten. Es war die Abkürzung von Manolo. Im Geschäft unmittelbar neben dem Pilgerbüro ließ ich meine Urkunde in Folie einschweißen. So war sie
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