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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Gründen gefürchtet hatte. Die Geschworenen kamen hintereinander herein und bemühten sich, niemanden anzusehen. George versuchte zu schlucken, aber sein Mund war vollkommen trocken. Es galt als alter Brauch, daß Geschworene die Angeklagten nicht ansahen, wenn sie sich auf einen Schuldspruch geeinigt hatten. Nach seiner eigenen Erfahrung blickten die Geschworenen den Angeklagten aber niemals an, wenn sie auf ihre Plätze zurückkehrten. Wie immer das Urteil ausfallen mochte, es schien etwas Beschämendes zu haben, über einen Mitbürger ein Urteil gefällt zu haben.
    Der gewählte Obmann, ein Mann mittleren Alters mit einem schmalen Gesicht, rosa Wangen und einer Hornbrille, blieb stehen, als die anderen sich setzten, und sah mit festem Blick den Richter an.
    »Geschworene, haben Sie sich auf Ihr Urteil geeinigt?«
    Der Obmann nickte. »Ja.«
    »Und wie lautet Ihr Spruch zu Anklagepunkt eins?«
    »Schuldig.«
    Wie ein kollektiver Seufzer ging ein Raunen durch den Gerichtssaal. George spürte, wie sein Magen sich etwas entkrampfte.
    »Anklagepunkt zwei?«
    Der Obmann räusperte sich. »Schuldig«, sagte er.
    Lauter werdendes Murmeln erfüllte die Luft wie das abendliche Summen von Bienen um den Bienenstock. George schämte sich des Gefühls nicht, das er beim Anblick von Hawkins Gesichtsausdruck empfand. Seine gutaussehenden Gesichtszüge hatten alle Farbe verloren und wirkten starr wie eine Tuschezeichnung. Sein Mund ging auf und schloß sich wieder, als schnappe er nach Luft.
    George suchte in der aufgeregten Menge aus Scardale nach Ruth Carter. In diesem Moment drehte sie sich zu ihm um, die Augen voller Tränen, ihr Mund vor Erleichterung offen wie eine klaffende Wunde. Er sah das Wort »Danke« auf ihren Lippen, bevor sie sich zu den offenen Armen ihrer Verwandten umdrehte.
    »Ruhe im Gericht«, dröhnte der Gerichtsdiener.
    Das Murmeln verebbte, und alle wandten sich der Richterbank zu. Richter Fletcher Sampson schaute grimmig drein. »Philip Hawkin, haben Sie etwas zu sagen, bevor das Urteil nach dem Gesetz über Sie verhängt wird?«
    Hawkin stand auf. Er hielt sich an der Anklagebank fest. Dann sagte er mit verzweifeltem Nachdruck: »Ich habe sie nicht getötet. Euer Ehren, ich bin unschuldig.«
    Nach der Wirkung seiner Worte auf Sampson zu schließen, hätte er sie sich genausogut sparen können. »Philip Hawkin, die Geschworenen haben durch ihren Urteilsspruch befunden, daß Sie Ihre Stieftochter – Alison Carter, ein Mädchen von erst dreizehn Jahren – vergewaltigt und später ermordet haben. Daß Sie eine Schußwaffe bei dem Verbrechen benutzten, erlaubt mir, den Richterspruch zu fällen, den das Gesetz zuläßt und die Gerechtigkeit verlangt.« In absoluter Stille griff er nach dem Viereck aus schwarzem Stoff und legte es sich behutsam über seine Perücke. Hawkin schwankte leicht, aber der Polizist zu seiner Rechten ergriff seinen Ellbogen und zwang ihn, aufrecht zu stehen.
    Sampson sah auf die Karte mit den schicksalsschweren Worten hinunter. Dann schaute er auf, und sein Blick traf auf die fassungslosen Augen von Alison Carters Mörder. »Philip Hawkin, man wird Sie an den Ort bringen, von dem Sie gekommen sind, und von dort zu einem rechtmäßigen Ort der Hinrichtung. Dort sollen Sie am Hals gehängt werden, bis der Tod eintritt, und danach soll Ihr Körper in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Gelände des Gefängnisses begraben werden, wo Sie zuletzt vor der Hinrichtung festgehalten wurden; und möge sich Gott Ihrer Seele erbarmen.«
    Im Gerichtssaal herrschte benommenes Schweigen. Dann schrie eine Frauenstimme: »Nein!«
    »Bitte bringen Sie den Gefangenen hinunter«, befahl Sampson den Polizisten.
    Sie mußten Hawkin fast aus dem Gerichtssaal tragen. Der Schock schien ihm die Fähigkeit zu gehen genommen zu haben. George konnte eine solche Reaktion verstehen. Seine eigenen Beine schienen unwillig, ihn zu tragen. Plötzlich merkte er, daß er der Mittelpunkt einer Gruppe von Menschen war, die ihm alle die Hand schütteln wollten. Charlie Lomas, Brian Carter, sogar Ma Lomas riefen ihre Glückwünsche. Die zugeknöpfte Selbstbeherrschung, mit der er bisher die Dörfler von Scardale in Verbindung gebracht hatte, war bei dem Urteil und dem Richterspruch über Hawkin von ihnen abgefallen.
    Pritchards Gesicht kam von irgendwoher auf ihn zu. »Rufen Sie Ihre Frau an, und sagen Sie ihr, Sie bleiben über Nacht in Derby«, rief er. »Wir haben drüben Sekt.«
    »Alles zu seiner Zeit«, rief Ma Lomas

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