Ein Ort wie dieser
Cécile, ich habe Ihnen etwas zu sagen …«
Alle waren aufgestanden und drauf und dran zu gehen. Die Vertrautheit mit der jungen Frau, die Georges an den Tag legte, wurde den anderen peinlich.
»Gehen wir in mein Büro«, fügte er immer unbedachter hinzu.
Cécile folgte ihm, ohne Fragen zu stellen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihm gefiel, aber sie fühlte sich in seiner Gegenwart manchmal ein wenig unsicher.
»Schließen Sie die Tür«, sagte er, als sie in seinem Büro waren. »Ich habe Post für Sie bekommen.«
Er hielt ihr einen Brief hin.
LOUIS - GUILLOUX -Grundschule
Zu Händen von Cécile Barrois
Cécile spürte, wie ihr Herz zu rasen begann. Was wollte man von ihr?
Mademoiselle,
ich beabsichtige, in der Zeit zwischen dem 15 . und dem 30 . Januar, jeweils einschließlich, einen Unterrichtsbesuch in Ihrer Klasse durchzuführen. Ich möchte Einsicht in alle Arbeiten und anderen Leistungen der Schüler, in die Schulhefte sowie Ihre Lernmittel nehmen.
Mit freundlichen Grüßen
J.-P. Marchon,
Schulinspektor des Unterrichtsministeriums
Cécile stieß einen Schrei aus.
»Ein Problem?«, fragte Georges besorgt.
Er hatte keine Hemmungen, den Brief über ihre Schulter hinweg zu lesen.
»Ja, genau, wie ich mir dachte, ein Unterrichtsbesuch …«
Sie standen dicht beieinander. Sie sah ihn an, während sie den Brief zwischen den Händen zerknüllte.
»Marchon, ist das der Herr, der in meine Klasse kommt?«, fragte sie mit Kinderstimme.
»Äh …, ja, das ist der Inspektor unseres Departements.«
»Ist das der Mann von Madame Marchon? Wissen Sie, die Mama von Jean-René?«
Georges überlegte: »Warten Sie … nein. Das ist … ihr Schwager. Ja, das ist es, es ist ihr Schwager. Warum?«
Cécile schwankte.
»Setzen Sie sich, meine Kleine. Das dürfen Sie nicht so ernst nehmen. Das wird sehr gut laufen.«
Er zog einen Stuhl heran und bat sie, sich zu setzen.
»Oh, mein Gott«, jammerte sie. »Sie hasst mich.«
»Wer bitte?«
»Madame Marchon. Das war sie, ich bin mir sicher, dass sie das war! Sie hat mich denunziert. Weil ich kein Lesebuch benutze. Und ich habe Jean-René
Jeder macht sein Häufchen
geliehen.«
Sie weinte. Georges rieb sich die Schläfen, um folgen zu können.
»Cécile, Cécile, bleiben Sie ruhig.«
Aber er war es, der aus der Rolle fiel. Dieses kleine, in Tränen aufgelöste junge Mädchen … Er hatte Zuneigung zu ihr gefasst, ohne darauf zu achten.
»Sie glauben, dass Madame Marchon ihren Schwager gebeten hat, Ihnen einen Unterrichtsbesuch abzustatten?«
»Jaaa …«, schluchzte Cécile. »Sie hasst mich.«
»Aber zum Unterrichtsbesuch kommt ja nicht sie«, sagte Georges beruhigend. »Sie müssen sich nur angemessen vorbereiten. Ich … Ich werde Ihnen helfen.«
Sie hob ihren tränenverschleierten Blick zu ihm: »Wollen Sie das wirklich tun?«
»Aber natürlich, kein Problem … Weinen Sie nicht mehr.«
Er fuhr ihr mit dem Handrücken über das Gesicht, so wie er es mit den Kindern tat, die im Pausenhof hingefallen waren. Sie schreckte zusammen und wandte ein wenig den Blick ab.
»Gut, jetzt geht es besser, oder?«, fragte er mit heiterer Stimme. »Sie haben mir richtig Angst eingejagt, so bleich, wie Sie waren. Jetzt haben Sie wieder Farbe.«
Tatsächlich war Cécile knallrot geworden.
»Verlieren wir keine Zeit«, fuhr er fort. »Wir haben mindestens zehn Tage vor uns.«
Er sah auf die Uhr, dann nahm er den Telefonhörer.
»Hallo. Elisabeth?«
Verblüfft hörte Cécile die Fortsetzung.
»Ich habe noch einen ganzen Haufen Papierkram zu erledigen. Ich komme nicht vor sieben nach Hause. Soll ich dir noch was mitbringen? Nur Brot … Einverstanden, bis nachher.«
Er legte auf und sah Cécile direkt in die Augen.
»So. Wir haben zwei Stunden. Holen Sie Ihre Anwesenheitslisten und Ihr Klassenbuch. Da wird der Inspektor als Erstes die Nase reinstecken.«
Zehn Minuten später saßen sie beide dicht nebeneinander im Lehrerzimmer und waren dabei, die Listen durchzusehen, in denen Cécile das Fehlen der Schüler vermerkte.
»Wo sind Ihre Abwesenheitswerte?«, fragte Georges streng.
»Meine was?«
»Sagen Sie mir nicht, Sie wüssten nicht, wovon ich rede. Jeden Monat müssen Sie die Fehlzeiten Ihrer Schüler prozentual erfassen. Das ist für die Statistik des Schulbezirks.«
»Das mache ich heute Abend«, murmelte die junge Frau.
»Gut. Geben Sie mir Ihr Klassenbuch.«
Sie schob es ihm mit zitternder Hand hin. Sie dachte an das
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