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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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der richtigen Adresse. Ich kenne so ziemlich alle Tricks, die es auf diesem Gebiet gibt. Aber nicht alles ist Schwindel. Charles kann Ihnen bestätigen, daß manche Menschen wirklich die Gabe besitzen, in der menschlichen Seele zu lesen. Was ich in Ihrer Seele lese, Kind, ist Schmerz. Zerstörerischer Schmerz.«
    Zwei Tassen Kaffee später machte Edith Candle die Hintertür auf, und Mallory betrat nach ihr den kleinen Vorplatz, von dem aus eine Wendeltreppe in den Keller führte. Das Geländer zeichnete ein gewundenes schwarzes Muster auf die weiß getünchten Treppenhauswände, die Glühbirnen über den Zugängen zu den Wohnungen in den unteren Stockwerken leuchteten nackt und grell. Mallory folgte Edith Candle aus deren enger Fünfzimmerwelt die Treppe hinunter bis zur Kellertür, die – bestimmt als einzige in ganz New York – nicht abgeschlossen und auch nicht abschließbar war. Sanft hielt sie die alte Dame mit einer Hand zurück, während sie im Kellerdunkel nach dem Lichtschalter tastete, wobei sie das Gewicht des schweren Revolvers im Holster als sehr beruhigend empfand. Als sie versuchte, das Licht anzuschalten, tat sich nichts.
    »Auf dem Sicherungskasten liegt eine Taschenlampe«, sagte Edith Candle hinter ihr.
    Mallory machte die Tür ein Stück weiter auf, damit Licht aus dem Treppenhaus in den Keller fiel, fand die Taschenlampe und leuchtete die Sicherungen ab. Sie waren alle in Ordnung.
    »An der Sicherung liegt es nicht«, erklärte Edith. »Schon als Max und ich das Haus kauften, war der Schalter kaputt. Drei Generationen von Elektrikern haben sich erfolglos mit ihm abgemüht.« Sie nahm Mallory die Taschenlampe ab. »Wenn ich mich recht erinnere, ist da drüben an der Wand noch eine Lampe.« Sie tastete sich an Kisten und Kasten entlang zu einer alten Stehlampe mit gerüschtem Schirm. Gleich darauf war ein kleiner Teil des Kellers in warmes gelbes Licht getaucht. »Gleich mache ich es uns noch heller«, sagte sie lächelnd. »Kommen Sie nur mit.«
    Vorbei an lastenden Schatten folgte Mallory ihr durch einen Gang aus Schiffskoffern, auf denen Schachteln und Kisten gestapelt waren. Dazwischen standen alte Möbel in Schutzbezügen und am Ende des Ganges eine kopflose Schneiderpuppe.
    »Alle Requisiten von Max sind hier unten«, erklärte Edith. »Den Lagerraum haben wir nachträglich abteilen lassen, er geht über den halben Keller.« Sie steckte einen Schlüssel ins Schloß, eine Falttür öffnete sich, und man sah in eine dunkle Höhle, in die nur durch das breite Fenster auf Gehsteighöhe ein wenig Licht fiel. Draußen standen Mülltonnen. Eine Ratte huschte vorbei.
    Mallory erkannte die Umrisse von Kisten und einen hohen, dreiflügeligen Paravent.
    »Ich war schon ewig nicht mehr hier unten«, sagte Edith. Sie ging an Mallory vorbei und knipste eine Kugelleuchte an, die ein mattes Licht verbreitete. Es fiel auf einen Plastikkleidersack, in dem gefaltete Seide glänzte und Pailletten glitzerten.
    »Als nach dem Tod meines Mannes die Kollegen kamen, um mir zu kondolieren, fragten sie auch, ob ich ihnen seine Requisiten verkaufen wollte. Aber für mich war es Ehrensache, seine Geheimnisse nicht zu Geld zu machen. Hätten Sie Lust, eine seiner berühmtesten Nummern zu sehen? Haben Sie ein starkes Herz? Wir haben sie nur einmal gezeigt. Zu viel Blut, hat der Theaterbesitzer gesagt. Sie sind hoffentlich nicht schreckhaft?«
    Mallory sah die alte Dame an. »Ich denke, wir können es riskieren.«
    Edith schaltete einen Strahler am Sockel des fast bis zur Decke des hohen Kellerraums reichenden Paravents ein. Auf dem zarten Reispapier war jetzt ein feuerspeiender Drache zu sehen.
    »Warten Sie hier«, sagte die alte Dame. »Ich muß die Technik überprüfen, sie ist über dreißig Jahre nicht benutzt worden.« Sie drückte Mallory die Taschenlampe in die Hand und verschwand hinter dem Paravent.
    Mallorys Handrücken prickelten. Ihr Instinkt mahnte zur Vorsicht. Sie spürte den Blick, der sich aus dem Dunkel auf sie richtete, dann erfaßte der Strahl der Taschenlampe ein Augenpaar.
    Charles?
    Nein. Ein abgetrennter Kopf auf einem Koffer. Aus Wachs natürlich, aber trotzdem … Es überlief sie kalt. Die Augen wirkten beängstigend echt. Die Proportionen zwischen dem Weiß und der Iris waren nicht ganz so extrem, aber der staunende Ausdruck – wie der eines Neunjährigen unter dem Weihnachtsbaum – lag wohl in der Familie. Das mußte Charles’ Onkel sein.
    Hallo, Max.
    Sie hörte Edith Candle rufen und

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