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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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der Börsenaufsichtsbehörde konnte sie unmöglich so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen. Die Hälfte unserer Arbeit, hatte Markowitz mal zu ihr gesagt, besteht darin, Verbindungen zwischen uns bekannten und uns unbekannten Personen auf die Spur zu kommen. Pearl Whitman hatte ihren Mörder gekannt. Vielleicht kannte auch Edith Candle ihn. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf klingelte sie an der Tür von 3 B.
    Schritte näherten sich, aber das metallische Schurren zurückgeschobener Riegel blieb aus. Als die Tür aufging, stand vor ihr eine rundliche Frau mit weißem Haar und einer Haut, die von innen zu leuchten schien, so hell war sie. Edith Candle lächelte, als habe sie nicht eine unangemeldete Fremde, sondern eine lang erwartete liebe Freundin vor sich, und verstieß damit eklatant gegen das Sicherheitsbedürfnis des typischen New Yorkers, der ohne einen festen Riegel und zwei gute Sicherheitsschlösser, einen Dobermann, einen Pitbull-Terrier und ein Guckloch in der Wohnungstür nicht auskommt.
    »Ich bin eine Bekannte von Charles Butler.«
    »Freunde von Charles Butler sind mir jederzeit willkommen.« Sie trat einladend beiseite. Im Wohnzimmer, wo es heller war, sah Mallory, daß Edith Candle ganz und gar nicht ihren Vorstellungen von einer Börsenschwindlerin entsprach. Auf dem kleinen Körper wirkte der Kopf unverhältnismäßig groß, das Haar war im Nacken zu einem Knoten geschlungen, der altmodische Spitzenkragen verschwand unter einem Dreifachkinn. Die Hände waren arthritisch verdickt, und die Augen hinter der dicken Brille blickten groß und unschuldig blau.
    Eine warme, weiche Hand zog Mallory sanft weiter. »Bitte setzen Sie sich doch, ich mache gleich Kaffee. Oder möchten Sie lieber Wein?«
    »Einen Kaffee nehme ich gern, vielen Dank.«
    Von Charles wußte sie genug, um die schönen alten Stilmöbel nicht als billigen Trödelkram zu verkennen. Das Zimmer war vollgestellt mit teuren Zier- und Nippesgegenständen – Porzellanfiguren, silbernen Konfektschälchen, seidenen Lampenschirmen, Gruppen von Fotografien auf den breiten Fensterbrettern –, alles Staubfänger, die wunderbarerweise keine einzige Staubflocke angesetzt hatten. Es roch nach Kiefernnadelöl und Möbelwachs, genau wie bei Helen Markowitz, der besten Hausfrau aller Zeiten. Und aus der Küche kam der von tausend Sonntagsessen und Montagsschulbroten vertraute und geliebte Geruch nach Rinderschmorbraten.
    »Wer war sie?«
    Mallory fuhr so jäh herum, daß Edith Candle zurückprallte und einen Schaukelstuhl in Bewegung setzte. Die alte Dame fing sich wieder und fing auch die rutschende Brille wieder ein, aber der Schaukelstuhl wiegte sich weiter wie von einem Unsichtbaren bewegt.
    »Es sind Erinnerungen an eine Frau, nicht wahr?« Mrs. Candle setzte sich auf die Couch und rückte automatisch ein Schondeckchen auf der Armlehne zurecht. »Nichts in diesem Zimmer deutet darauf hin, daß hier einmal ein Mann gelebt hat. Dachten Sie an Ihre Mutter?«
    »Ich habe meine Mutter nicht gekannt.«
    »Sie haben tief geatmet. Es riecht nicht nach Blumen, nur nach Sauberkeit. Das hat Ihnen gefallen. Und auch, daß es so ordentlich ist. Sie sind offenbar richtig erzogen, sind geliebt worden. Wer war sie?«
    »Helen. Sie sagen war. Woher wußten Sie, daß sie tot ist?«
    »Was Sie sahen, war eine Erinnerung.«
    O Himmel! Aus dieser Ecke also hatte Charles sein besonderes Talent …
    Und dann saßen sie in der geräumigen Küche und tranken ihren Kaffee. »Ja, Kind«, sagte Edith Candle und schob Mallory einen Teller mit selbstgebackenen Keksen hin, »als Charles klein war, haben seine Eltern mich oft besucht. Wußten Sie, daß seine Mutter sechsundfünfzig war, als er zur Welt kam? Kaum zu glauben, was? Sehr liebe Menschen, die Butlers. Max und ich haben Charles gehütet, wenn sie zu ihren Hochschulkonferenzen reisten. Ich ging dann mit ihm in den Park, aber er kam mit den anderen Kindern nicht zurecht. Immer wieder machte er sich Hoffnungen, und immer wieder erfuhr er nur Ablehnung. Schon sein IQ machte ihn zum Einzelgänger, und dann diese Nase … Noch nie habe ich ein Neugeborenes mit einer so großen Nase gesehen. Auch als er nach der Promotion an diesem Forschungsprojekt arbeitete, waren wir oft zusammen, Charles und ich. Für ihn war ich ein Versuchskaninchen. Ich war nämlich Hellseherin.«
    »Ich weiß. Wir bearbeiten zur Zeit den Fall eines falschen Mediums.«
    In den Augen der alten Dame blitzte es belustigt auf. »Da sind Sie bei mir an

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