Ein Ort zum sterben
einem Medium holt?«
»Sehr oft sogar. Probleme mit dem Geld und mit der Liebe haben die Menschen immer, und je älter sie werden, desto mehr ist das Geld gefragt.«
»Bei der Hellseherei geht es also in erster Linie um Finanzielles?«
»Nein, so würde ich das nicht sagen. Dazu braucht man schon einiges Fachwissen. Die meisten aus der Zunft sind Schmalspurtalente, die leben von der Hand in den Mund. Dann gibt es natürlich auch echte Begabungen, die überhaupt kein Geld nehmen und kostenlos mit der Polizei zusammenarbeiten. Aber gute Börsenexperten sind im Jenseits so selten wie auf der Erde.«
»Und Sie waren gut. Die Fusion hat sich bezahlt gemacht. Warum hat Pearl Whitman sich nicht wieder bei Ihnen gemeldet?«
»Vielleicht fand sie, daß sie nun genug Geld hatte.«
»Sie leben aber auch nicht schlecht, wie?«
»Ganz unter uns: Ich schwimme in Geld.«
»Und warum gehen Sie nie aus dem Haus?«
»Wozu? Die Welt kommt ja zu mir. Über die elektronischen Netze komme ich an alle Informationen heran, die ich brauche, ich habe meinen Fernseher, Video, meine Buchklubs und ein nettes Verhältnis zu den Mietern hier im Haus. Was will ich mehr?«
»Aber gibt es nicht auch einen konkreten Grund? Einen Grund, der etwas mit dem Tod Ihres Mannes zu tun hat?«
»In gewisser Weise ja. Ich sah den Tod meines Mannes voraus, konnte ihn aber nicht verhindern. Danach wollte ich nur noch meine Ruhe haben. Aber ich bin nicht einsam, es vergeht kaum ein Tag, ohne daß ich Besuch bekomme. Vielleicht bin ich fürs Einsiedlerleben doch nicht so recht geschaffen, ich denke in letzter Zeit immer öfter daran, mich wieder in die Welt hinauszuwagen.«
»Was wissen Sie über Medien? Sie sagten ja, es sei eigentlich nicht Ihr Gebiet.«
»Sie meinen die Technik? Nach den Jahren mit Max durchschaue ich wahrscheinlich die meisten Tricks – aber nicht immer ist dabei Betrug im Spiel. Den meisten geht es einfach darum, eine gute Schau abzuziehen. Zum Recherchieren bedienen sich alle der modernen Technik mit Computern und allem Drum und Dran, aber die alten Spielchen haben deshalb noch lange nicht ausgedient. Mit Schaltbildern lassen sich nun mal keine Illusionen vermitteln.«
»Hätten Sie Lust, mich zu einer Séance zu begleiten?«
Daß es in einem einzigen Wohnblock so viele private Videokameras gab, hätte Jack Coffey nie für möglich gehalten. Und eigenartig war es schon, daß ausgerechnet in diesem entlegenen Winkel der Stadt, der sich gleichsam aus dem zwanzigsten Jahrhundert ausgeklinkt hatte, die Anwohner aus den Fenstern und von Balkonen hingen und für ihr Pantoffelkino eine Mordermittlung filmten. Mit einigem Glück hätte er einen Film von dem Mord selbst haben können, wenn sich nicht der Täter zielsicher den einzigen blinden Fleck im Gramercy Park ausgesucht hätte. Drei Meter rechts und links von der Kellertür des Hausmeisters hatte die Kamera nichts erfaßt.
Seine Leute bemühten sich mit unerschütterlicher Höflichkeit, die Menge in Schach zu halten, aber die geldschweren Anwohner verteidigten lautstark ihr vermeintliches Recht, sich von der Schau, das heißt von dem blutigen Tatort nicht fernhalten zu lassen. Heute abend würde sich Beales Limousine hier nicht sehen lassen. Auch Harry Blakely würde nicht da sein, um die unvermeidliche Reporterfrage zu beantworten: Wie konnte das unter Ihren Augen passieren?
Die auf das Haus gerichteten Scheinwerfer machten den Gehsteig taghell. Gerry Pepper, der Fotograf, beugte sich über das Geländer und richtete seine Kamera auf die Nische vor der Kellertür. Er arbeitete ohne Blitz. Dann ging er die kleine Treppe hinunter, um die alte Dame besser aufs Korn nehmen zu können. Sie lag an der Wand, auf der sich blutig der Abdruck ihrer Hand abzeichnete. Immer wieder drückte er auf den Auslöser. Still und ohne Protest, dem hektischen Getriebe schon weit entrückt, sah sie zu ihm hoch. Er schoß ihr Gesicht, und dann wich er unvermittelt zurück, als habe sie eine spitze Bemerkung gemacht. »Ich brauche noch Großaufnahmen von dem Handabdruck, Gerry«, rief Coffey zu ihm hinunter.
Gerry Pepper sah auf, und Coffey merkte, daß irgend etwas diesen ausgebufften Profi aus dem Gleis geworfen hatte. Seit fünfzehn Jahren fotografierte er Menschen, die auf jede nur denkbare Art zu Tode gebracht worden waren, vom zerstückelten Säugling bis zum Junkie, der sich selbst den Goldenen Schuß gesetzt hat. Er hatte weit schlimmere Verstümmelungen gesehen als eine durchgeschnittene
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