Ein Ort zum sterben
hören.«
»Warum nicht? Die Angaben stammen von der Staatsanwaltschaft und stimmen hundertprozentig, ich kann dir den Ausdruck zeigen –«
»Nein!«
Sie hatte ihn eigentlich nur ablenken wollen. Jetzt erschrak sie, weil sie offenbar zu weit gegangen war. Es kam nicht oft vor, daß er in Rage geriet. Charles hatte ihr schon einmal gesagt, wie sehr es ihm widerstrebte, in die Privatsphäre seiner Mitmenschen einzudringen. Auch damals hatte sie das nicht begriffen, hatte sich erboten, ihm diese Macken auszutreiben, wie sie es nannte. »Das kriegen wir schon hin«, hatte sie gesagt.
»Verzeih, ich wollte dich nicht anschreien«, sagte er milder. »Also versuchen wir’s noch mal. Alles, was wir über einen Menschen erfahren, wirkt sich auf unsere Beziehung zu ihm aus. Ich kenne Edith von klein auf, ihr Mann war der Vetter meines Vaters. Sie ist meine einzige noch lebende Angehörige. Mehr, als ich jetzt von ihr weiß, brauche ich nicht zu wissen.«
»Ihre Insidergeschäfte interessieren dich also nicht?«
»Nein. Wenn nun jemand zu dir käme, um dir etwas Abträgliches über Louis oder Helen zu erzählen?«
»Okay«, sagte sie. »Vergiß es.«
Er war nicht überzeugt, das sah sie ihm an. Ihre Antwort war zu schnell gekommen, war zu glatt. Darauf würde sie in Zukunft achten müssen.
In der Diele verabschiedeten sie sich etwas gezwungen. Mit einem Knopfdruck holte sie den Aufzug hoch. Als die Aufzugtür sich öffnete, sah sie in das erschrockene Gesicht von Herbert Mandrel. Er zuckte mit dem kleinen Kopf wie ein Vogel, als Mallory die schönen Zähne bleckte, sah sich gehetzt um, drückte sich flach an die Wand und stand so gerade, als könne er damit sein Größendefizit wettmachen.
Mallory hatte die Ausbuchtung unter der Bomberjacke bemerkt und drückte lächelnd auf den roten Knopf. Sie hielten im dritten Stock.
Die Sehnenstränge in seinem Hals traten hervor, als sie ihr Gesicht dem seinen näherte. »Sie gucken viel fern, stimmt’s, Herbert?« sagte sie leise. »Krimis und so. Da werden Sie auch wissen, was Sie zu tun haben, wenn ich Sie auffordere, sich an die Wand zu stellen …«
Widerstrebend sah er sie an. Mit der strammen Haltung war es vorbei, trotzdem versuchte er noch einmal aufzumucken. »Sie haben nicht das Recht –«
Sie packte ihn am Arm, drehte ihn um, stieß ihn grob gegen die Aufzugwand und machte ihm mit einem Fuß die Beine breit. Als er mit ausgestreckten Armen und Beinen dastand, hin- und hergerissen zwischen Hilflosigkeit und schlotternder Angst, sagte sie: »Eine Bewegung, und ich muß Ihnen weh tun. Kapiert?«
Er nickte und stand ganz still. Sie klopfte ihn ab und griff sich mit der freien Hand den schweren metallenen Gegenstand, der vorn in seinem Gürtel hing.
»Jetzt können Sie sich wieder umdrehen, Herbert.«
Noch einen Augenblick stand er da wie ein aufgespießter Schmetterling, dann ließ er die Arme sinken und sah haßerfüllt zu ihr hoch.
»Was ist das?« Sie ließ den Schnellader am Griff baumeln.
»Hab ich von einem Kumpel in meinem Schießklub gekauft.«
»Und wo ist die Waffe dazu?«
»Hab ich nicht.«
»Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, Herbert. Ein Schnellader ohne Kanone?«
»Ich hab keine, ehrlich. Die von der Stadt geben mir keinen Waffenschein, ich hab schon einen Anwalt eingeschaltet. Fragen Sie Edith Candle, die hat mir einen empfohlen. Schießübungen mache ich nur im Klub.«
»Und wo ist der?«
»West Fourteenth Street.«
»Der Laden von Barry Allen?«
»Ja. Er kann’s Ihnen bestätigen. Fragen Sie Barry. Fragen Sie Edith.«
»Worauf Sie sich verlassen können.«
Sie drückte auf den Knopf, die Tür ging auf. Von draußen warf sie ihm den Schnellader zu. Er strecke die Hand aus, griff aber daneben. Sie sah noch, wie er sich danach bückte, dann ging die Tür wieder zu.
Durchaus glaubhaft, dachte sie. Herbert war nicht der Typ, der sich eine gestohlene, nicht zugelassene Waffe gekauft hätte. Barry Allen war ein früherer Cop und hatte einen guten Ruf. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis irgend jemand im Klub dem kleinen Zitteraal eine Kanone beschaffte.
Sie hakte das Thema Herbert erst einmal ab und dachte wieder an ihre Auseinandersetzung mit Charles. Sie hatte ihn sehr gut verstanden. Wehe dem, der sich in ihrem Beisein abfällig über Helen oder Markowitz geäußert hätte! Sie würde also Edith Candles Spekulationsgeschäfte zunächst auf sich beruhen lassen. Aber über die Erwähnung von Pearl Whitman in dem Bericht
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