Ein Ort zum sterben
schnell.
»Es macht mir nichts aus.«
»Nein, bitte! Wirklich …« Nicht mal auf der unversehrten Gesichtshälfte wirkte das Lächeln überzeugend.
»Gute Nacht, Sergeant Riker.«
Er nickte, fuhr an und ordnete sich langsam in den Verkehr ein. Sie blieb auf dem Gehsteig stehen und blickte ihm nach. Im Rückspiegel sah er, wie sie kleiner und kleiner wurde und schließlich in der gefährlichen Landschaft von Avenue C verschwand.
Übers Autotelefon versuchte er Mallory zu erreichen. Er ließ es lange läuten, manchmal nahm sie sich verflixt viel Zeit mit dem Abnehmen.
Vor dem Gespräch mit Margot Siddon hatte er zu Coffey gesagt, daß sie wahrscheinlich alles erben würde, was die Alte auf dem Konto hatte, und daß Markowitz immer sehr für Geldmotive gewesen war. Markowitz ist tot, hatte Coffey zum zweitenmal an diesem Abend festgestellt, als könne er es nicht fassen, daß diesem Trottel Riker das nicht in den Kopf wollte. Und außerdem, setzte Coffey – mindestens zum zehntenmal – hinzu, ist das nicht die Tat einer Frau.
An der nächsten Ampel machte sich Riker die letzte Notiz für diesen Tag: Warum keine Frau?
Margot Siddon knipste Licht an, und eine Kakerlake ging rasch unter der Scheuerleiste in Deckung. Die Bestückung der Messerleiste in der winzigen Küche hätte einen Profikoch neidisch machen können. In der Nische, die sich Schlafzimmer schimpfte, waren weitere Messer. Schweizer Armeemesser, gewöhnliche Taschenmesser, Springmesser. Manchmal vergaß sie, daß diese Leidenschaft für Schneidwaren von ihren Mitmenschen nicht unbedingt geteilt wurde. Heute abend war sie zu weit gegangen. Die beiden Cops hatten sie angesehen, als käme sie vom Mond – da, wo er am finstersten ist.
Als sie gefragt hatte, mit was für einem Messer Cousine Samantha umgebracht worden war, wären dem Jüngeren, diesem Coffey, fast die falschen Zähne rausgefallen.
Liebste Samantha. Das viele schöne Geld …
Sie würde mehr als genug haben, um sich ihr früheres Lächeln zurückzukaufen. Ihre Augen glänzten verträumt, als sie mit der einen Gesichtshälfte lächelte. Und dann fing sie an zu tanzen. Arme und Beine wirbelten in freudig-festlichem Schwung. Sie tanzte durch ihre schäbige Einzimmerbude und sagte jeder Wand einzeln Lebewohl.
Mallory ging auf der dunklen Straße in Soho an einer Fußgängerin vorbei. Die Frau schnappte mehr überrascht als ängstlich nach Luft, denn sie hatte keine Schritte, kein Geräusch gehört. Mallory war plötzlich neben ihr gewesen und rasch an ihr vorbeigegangen.
Ohne sich umzudrehen wußte Mallory, hinter welcher Tür die Frau verschwunden war und daß sie ihre Handtasche aufgemacht hatte, um selbst aufzuschließen. Den raschen Schritten hatte sie die jähe Angst angehört. Gut so. Normale Bürger hatten gefälligst Angst zu haben. Dann lebten sie länger. Besonders, wenn sie aufmerksamer auf das achteten, was sich um sie herum tat.
Sie ging in nördlicher Richtung zu der Garage, in der ihr Wagen stand. Einen Block vor der Houston blieb sie stehen. Horchte. Drehte sich mit verengten Augen um. Nichts. Niemand.
Du bist allein auf der Straße, meldeten ihre Augen. Aber sie spürte den Blick, der auf sie gerichtet war.
Jäh, mit schrillen Alarmsirenen und rotem Blinklicht, meldete sich eine Erinnerung. »Die meisten Leute schauen nicht nach oben«, hatte Markowitz zu ihr gesagt, als sie noch in der Ausbildung war. Sie trat zurück und sah dem schwarzen Ding entgegen, das auf sie niedersauste, um sie in eine bessere Welt zu befördern, als es die Stadt New York war. Behende wie eine Großstadtratte sprang sie zur Seite, als der schwere Betonklotz neben ihr auf dem Gehsteig aufschlug und ein Netz von Rissen im Beton erschien.
Sie sah zu den Dächern hoch. Dort oben zeichnete sich eine dunkle Gestalt vor dem Nachthimmel ab, ein Schatten, der sich am Dachrand entlangbewegte. Schon hatte sie den Revolver in der Hand – aber der entscheidende Sekundenbruchteil war vertan. Der Schatten hatte sich zurückgezogen.
Sie ging zum Haus und hievte sich mit einem Satz auf die Feuerleiter. Der Adrenalinstoß war so groß, daß sie sich ohne spürbare Anstrengung auf den Gitterrost im ersten Stock ziehen konnte. Immer drei Stufen auf einmal nehmend, lief sie in einem Zug die sechs Stockwerke hoch.
Es war eine mondlose Nacht. Im matten Licht der großen Stadt sah sie, daß der Schatten schon einen großen Vorsprung hatte. Sie hechtete über die Trenngitter zwischen den
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