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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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seine Kreditkartenabschnitte und Schecks benutzt hatte, aber die hatte Riker auf der Suche nach Hinweisen auf das Kürzel BD A ja schon durchgeforstet.
    Sie nahm sich zunächst die Schreibtischfächer vor. Eine Stunde später hatte sie sich bis zu der letzten Schublade in dem verschrammten alten Aktenschrank vorgearbeitet. Hier fand sie ihre alten Schulzeugnisse und Klassenfotos. Sie nahm das Gruppenbild aus der Privatschule in Manhattan in die Hand, die Markowitz ein Vermögen an Schulgeldern gekostet hatte. Die kleine Kathy fiel dem Betrachter sofort ins Auge – das einzige frühreife Gesicht in einem Meer von Unschuld. Markowitz hatte schon recht gehabt: Sie war nie ein kleines Mädchen gewesen.
    Sie war schon wieder unten, hatte das Licht ausgemacht und kramte nach dem Autoschlüssel, als sie die Umschläge bemerkte, die unter dem Briefschlitz an der Tür lagen. Flüchtig sah sie die Sendungen durch. Nur Werbung. Der Prospekt der Brooklyn Dancing Academy wäre ihr fast entgangen.
    B.D.A.
    Wie hatte Riker gesagt? Er habe ergebnislos sämtliche Firmen mit diesen Anfangsbuchstaben im Telefonbuch überprüft … Verschwieg er ihr etwas?
    Sie griff sich das schwere Branchenbuch und blätterte so hastig, daß die Seiten einrissen, fand aber keinen Eintrag für die Brooklyn Dancing Academy. Vorsichtshalber machte sie eine Gegenprobe im amtlichen Telefonbuch, kam aber auch dort zu keinem Ergebnis. Riker war aus dem Schneider.
    Langsam ließ sie sich in Markowitz’ Sessel sinken, strich über die abgewetzten Armlehnen und lehnte den Kopf an das weiche Rückenpolster. Ein Geruch kam ihr entgegen, den der Staub nicht hatte überlagern können. Auf dem kleinen Beistelltisch zu ihrer Rechten lag ein offener Tabaksbeutel. Sie streckte eine Hand nach dem Pfeifenständer aus, ließ die Fingerspitzen über die glatten, abgegriffenen Pfeifenköpfe gleiten und entschied sich dann für die Pfeife mit dem geschnitzten Gesicht. Die hatte er am liebsten gehabt, weil Kathy sie für ihn geklaut hatte. Damals, als sie noch »Hey, Cop« zu ihm sagte. Sie krampfte die Hand um die Pfeife, schloß die Augen, versuchte sich Markowitz als jungen Mann vorzustellen: Markowitz, der Tanznarr.
    Der Pfeifenstiel zerbrach ihr unter den Händen. Fassungslos betrachtete sie ihr Zerstörungswerk und hielt hoffnungsvoll die gesplitterten Teile aneinander, als wüßte sie nicht, wie schwer es ist, wieder zusammenzufügen, was einmal zerbrochen ist. Ihre Hände sanken in den Schoß, die zerbrochene Pfeife fiel ohne einen Laut auf den Teppich. Sacht wiegte sie sich hin und her. Die Bewegung versetzte sie zurück in eine Zeit, die vor der erinnerten Vergangenheit lag, jener Vergangenheit, in der es vor allem Fliehen und Verstecken gegeben hatte, die Suche nach Eßbarem, die Bedrohung durch fliegende Flaschen und die Luden vom Babystrich. Hin und her wiegte sie sich, taub für das Klingeln, taub für die Drehung des Schlüssels im Schloß, den Robin Duffy vor Jahr und Tag von seinem Nachbarn bekommen hatte. Und eine ganze Weile auch blind und taub für den drahtigen kleinen Rechtsanwalt, der sie bei den Schultern gepackt hatte und schüttelte und immer wieder ihren Namen rief.
     
    In jedem Blätterschatten, der über das Rollo spielte, lauerte ein Mann mit einem Messer. Margot zog die Decke über den Kopf, denn dann, das wußten schon die Kinder, blieben einem die Monster vom Leib, aber schlafen konnte sie jetzt nicht mehr. Im Dunkeln wählte sie Henry Catherys Nummer. Mühelos fanden ihre Finger die vertraute Tastenkombination. Er war nicht eben erfreut über die Störung.
    »Was ist?« blaffte er.
    »Ich bin’s, Henry. Kannst du mir zwanzig Dollar leihen?«
    »Bist du nicht gescheit? Du hast nach Abzug der Steuern eine runde Million zu erwarten.«
    »Aber ich hab sie noch nicht, und Samanthas Wohnung hat die Polizei versiegelt, ich kann nicht mal was verpfänden.«
    »Laß dir morgen früh von der Bank einen Vorschuß geben. Bei mir war das überhaupt kein Problem, sie haben mir gleich die Rückzahlungsverpflichtung mitgeschickt.« Ohne ein weiteres Wort legte er auf.
    Sie knallte den Hörer hin. Henry war schon ein schräger Vogel. Oder hatte er rausgekriegt, daß sie die Ringe aus der Schmuckschatulle seiner Großmutter hatte mitgehen lassen? Er saß nicht permanent auf seiner weißen Wolke, sondern hatte auch klare Momente, und in denen war er ihr richtig unheimlich. Wie ein Schlafwandler kam er ihr dann vor, der von einer Sekunde auf die andere

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