Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
vorher und unverstanden, Karl dachte: Leck mich doch am Arsch.
Und Ruth redet weiter. »Ich dachte, wir lieben uns. Und dann frag ich mich und dich, warum bist du so wenig zärtlich, warum zuckst du zurück, wenn ich dich berühre.«
Und Karl, der Ruth schon irgendwie sehr gern hat, aber sie einfach nicht begehrt, blickt zum Fenster raus. Wenn ein Mann von Liebe spricht, dann meint er begehren, dann meint er Geschlechtsverkehr und Orgasmus. Wenn eine Frau von Liebe spricht, dann meint sie Seele und Ver-schmelzen, dann meint sie alt werden und reden und anfassen ohne Ende und Symbiose. Die meisten Männer und Frauen sterben enttäuscht, weil sie bis zum Ende daran festhalten, daß ihre Art der Liebe die einzig wahre ist, und das kann nur zur Katastrophe führen. »Nun sag schon was«, sagt Ruth, und Karl räuspert sich. Er sagt aber nichts.
Was soll er auch sagen. Er hat sie doch irgendwie echt gern.
Nur ist er nicht verliebt in Ruth. Wieso, das kann er auch nicht sagen. Karl sagt also nichts. Und weil das Schweigen zu lange geht, sagt er dann doch etwas: Weißt du, ich hab dich total gerne aber ich weiß nicht, ob ich es Liebe nen-nen würde. Ruth steht da und vereist von unten nach oben. Macht das Eis ihren Körper steif. Und bevor der Mund zufriert fragt sie: »Bin ich dir zu alt?« Fragt sie. Und Karl sieht sie endlich an. Und nickt.
BETTINA denkt
Ich habe mir eine Weihnachtsmannmaske aufgesetzt. Den letzten Baum, den es noch gab, am 24. morgens, habe ich geschmückt, und Geschenke habe ich für sie geklaut. Der Baum war schief. Als ich sie ins Zimmer rief. Hat sie den Baum umgetreten. Sie torkelte. Ich sah den Baum am Boden liegen. Ich saß daneben, mit der viel zu großen, dämlichen Maske. Die Geschenke warf ich weg.
Ich war 12, und alles fing erst an. Denk an deine Mutter.
Was fällt dir ein? Ich hasse sie! Warum weinst du dann?
Meine Mutter ist tot. Erst vergast. Dann zerfetzt. Durch einen, der heimkam und Licht wollte. Aber das war erst später. Ich war 12. Bevor ich mich entschloß, nie mehr was zu fühlen. Habe ich sie geliebt.
Wenn sie trank, dann meinte sie nicht mich. Ich zitterte, wenn sie vor meiner Tür stand. Sich dagegenwarf. Mit ihrem Körper. Mit einer Axt. Und ich saß drinnen und zitterte. Vor Angst. Vor Haß. Vor Liebe. Am Anfang passierte es manchmal. Einmal in der Woche. Zweimal. Drei-mal. Dann fast jeden Tag. Wenn sie nüchtern war ... Ich wollte ihr sagen, daß ich sie brauche. Wenn ich versuchte, sie zu berühren, wenn sie nüchtern war, dann merkte ich, daß sie weglaufen wollte. Sich schämte. Ich habe sie nicht mehr angefaßt, irgendwann. Ich war 12. Ich dachte, der Alkohol wäre schuld. Ich goß ihn ins Klo. Aber nichts wurde anders. Warum trinkst du, fragte ich sie. Laß es doch einfach. Ich kann nicht, sagte sie. Mein Vater schämte sich. Es war eine Kleinstadt. Und sie waren geschieden.
Meine Mutter soff, und wenn ich meinen Vater auf der Straße traf, tat er, als sähe er im Himmel etwas Großes. Es war eine Kleinstadt, und meine Mutter war eine Säuferin, Ihre Strümpfe hatten Löcher, und sie trieb es mit jedem.
Wenn ich mit ihr durch die Straßen ging, schwankte sie.
Die Leute taten, als sähen sie weg. Ich ging mit ihr durch die Straßen und ich war sie. Alle sahen mich. Ich war 13
und lag im Bett. Ich nahm ein Messer und schnitt mir die Haut auf. Schnitt mir die Liebe zu ihr heraus. Ans Herz kam ich nicht. Ich wollte nie mehr lieben. Nie mehr. Die Liebe war herausgeschnitten. Kam nichts nach. Abends brachte sie Männer mit. Betrunken wie sie. Häßliche Männer.
Laute Männer. Ich hörte sie nebenan. Und hielt mir die Ohren zu. Einer schlug sie. Dem stieß ich ein Messer in den Rücken. Er blutete.
Ich war 14 und fuhr mit ihr in Urlaub. Sie wollte nicht mehr trinken. Wir waren irgendwo im Wald. Es war Winter. Ich sah überall Lichter in den Häusern. Wir saßen nebeneinander auf einer Bank. Ich war ganz kalt. Als sie weinte. Ich fühlte nichts, als ich ihre Tränen sah. Es hatte geschneit. Und als sie am Abend trank, sah ich sie an wie ein Insekt.
Wenn sie im Zimmer war, nahm ich Tabletten. Die Tabletten waren gut. Wenn ich viele davon aß, fühlte ich noch weniger als sonst. Alles war im Nebel. Ich nahm viele von den Tabletten. Ich spürte nichts.
Ich war 15. Ein Mann hatte mich vergewaltigt. Ich ging in mein Zimmer und zerschlug einen Glasballon. Aus dickem, grünem Glas. Die Scherben schnitten durch mein Fleisch, bis auf die Knochen. Es tat nicht weh.
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