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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Titel: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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Auch das tat nicht weh. Da wußte ich, daß ich tot war. Morgen war ein Schorf über den Schnitten. An Armen, Beinen, am Bauch.
    Ich war 16, und ich begann zu trinken. Saß neben meiner Mutter. Trank. Und auf einmal war eine Nähe zwischen uns. Ich will sterben, sagte sie. Stirb doch, sagte ich.
    Manchmal, wenn ich aus der Schule kam, ging die Tür nicht auf. Dann lag meine Mutter davor. War umgefallen.
    Ich stieg durchs Fenster ein und zerrte sie aufs Bett. Meine Mutter war schwer. Wir haben nichts anderes zu tun, als zu vergessen. Und wenn wir vergessen haben, ist unser Leben um.
    HELGE fährt weg
    Ich war mal in Venedig gewesen. Ich weiß, keiner der da nicht auch war. Keiner der nicht erzählt, daß er nur im Winter dahin fährt. Wenn die Touristen nicht da sind. Alle erzählen das. Und machen individuelle Gesichter dabei.
    Ich war auch in Venedig. Im Sommer, Mit meiner ersten Freundin. Wir verstanden uns, wie Mann und Frau immer-nicht. Hockten schweigend in einer Pension. Da ging eine ganz enge, steile Treppe hoch, und das Zimmer war alt, feucht und hatte ein Fenster zum Hof. Mir hat es da gut gefallen, in der Pension, und ich dachte mir, wenn ich mal sterben will, komme ich wieder hierher. Ich könnte jetzt nicht sagen, ich fahr dahin, um zu sterben. Das würde eine Klarheit voraussetzen, die ich nicht habe. Zuviel Anstrengung. Weiß ich gar nicht, wie ich es in den Zug geschafft habe. Ein Überdruß füllt mich aus, der jede Bewegung ver-hindern möchte.
    Gestern war es wenigstens Ekel. Als ich beim Klavier-spielen saß. Die Gesichter der Menschen in der Bar.
    Rot vom Alkohol, feist vom Selbstgefallen. Kotzen wollen. Bin ich aufgestanden, um nicht das Klavier zu be-schmutzen, das ja nichts dafür kann. Und habe gekotzt.
    Einige Liter Mageninhalt. Cocktails und Schirmchen. Alle Gefühle weggekotzt. Nichts mehr fühlen. Zu leer zum Denken. Zum Laufen. Zum Gucken. Draußen sind Berge.
    Geballte Langeweile. Wiesen. Die Schweiz. Ich zu müde, selbst um das Heidi zu würgen, den Abhang runter-zustoßen, ihrem roten Röckchen nachzuschaun. Daß sterben nicht so einfach geht. Den Herzschlag einstel-len, wenn die Zeit gekommen ist. Zu müde zum Sterben.
    Unmöglich, jetzt die Tür vom Zug aufzumachen. Mich rausgeben. Unmöglich. Muß ich abwarten. Mich sammeln. Mich toten. In Venedig in dieser Pension. Aber will eines sterben, wenn es noch einen Gefallen an der Erfüllung von Bildern hat?
    NORA immer noch bei THOMAS
    Nora hatte morgens ferngesehen. Erst kam was über Aids. Auf spanisch. Dann kam was über Jeffrey Dahmer.
    Nora hatte gelacht. Über die Köpfe, die er im Kühlschrank hatte. Sie war zum Kühlschrank gegangen. Da war nur Milch drin. Am Abend vorher war Nora mit Thomas im Kino gewesen. Filme waren echt zu lang. Jetzt lag der Junge vor ihr. Verschnürt. Preßsack. Nora steckte ihm Petersilie ins Ohr. Der Fernseher lief stumm. Nora schlug mit der Peitsche auf den Hintern des Jungen herum. In der Hand hatte sie eine überreife Avocado. Die Masse quoll durch die Finger wie Hirn. Den Kern in die Nase einführen. Hochstoßen, einbetten in weiche Masse. Die Zigarette in der Nase. Brennende Haare riechen nach toten Socken.
    Vielleicht sollte sie ein wenig operieren. (Die Bohrma-schine. Größter Bohrer ins Bohrfutter, Niedrigste Umdre-hungszahl.)
    In einer Hand eine Tropfkerze. Das Wachs auf seiner Haut.
    Der Junge zuckte. Sagen konnte er nichts. Da war der Socken davor. Im Fernsehen lief Nirvana. Nora stellte sich vor, Kurt Cobain läge hier. Sie würde mit ihm reden. Ihn würde sie nicht verschnüren wollen. Der Junge war nur ein Junge. Nora sah vom Fernseher weg. In einer Ecke lag ein altes Schaf. Von ihr. Von früher. Nora weinte. Und auf einmal machte es ihr Spaß, den Jungen zu schlagen. Sie kniff ihn. Und schlug ihn mit der Peitsche, die Kerze in seinen Hintern. Sie riß an seinen Haaren. Nora lächelte. Nora war jetzt schon eine Woche in Barcelona. Aber sie gingen kaum raus. Sie waren fast immer in diesem Keller.
    Das Piercing tat gar nicht mehr weh. An der Augenbraue war jetzt ein Ring zum Drandrehen. Am Bauchnabel auch.
    Einige machten sich jetzt Narben. Das war auch O. K. Nora hatte gerade Stephen King gelesen. Durch den Gang eines Flugzeuges lief ein Mann seinem Darm hinterher. Der quoll aus dem Bauch, und er wollte das Ding da wieder reinstopfen. Nora sah ihren Bauch an. Sie ging ins Bad und versuchte mit einer Rasierklinge einen Schnitt. Das tat weh. Sie setzte die Rasierklinge von unten an die

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