Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
einer weiteren Ecke des Zimmers sitzt Tom. Er wurde mit einem schlimmen Fall von Diphtherie eingeliefert. Ziemlich ausgetrocknet und eigentlich hätte er nach Ansicht der Ärzte schon tot sein müssen. War er indes nicht. Er sitzt nämlich im Raucher-zimmer und sieht sich Nora an. Und macht sich Gedanken über deren Krankheit. Wahrscheinlich Krebs, und weil er aber denkt, daß einem bei Krebs immer die Haare ver-lorengehen und Nora die noch hat, entscheidet er sich für Aids. So dünn wie das Mädchen ist. Wahrscheinlich Drogen. Denkt Tom und ist froh, daß es ihm schon wieder ganz gutgeht. Und Nora guckt Tom an und denkt nur, daß der für einen Krankenhauspatienten total gut aussieht. Lange Haare bei Männern findet Nora sowieso gut. Schade, denkt sie, daß ich nicht spanisch kann. Dann guckt Nora auf den Flur, weil da gerade eine Trage langgerollt wird. Ein zuge-deckter Mensch drauf. Der kommt in den Leichenkeller, der Mensch. Und Nora erinnert sich, wie sie als Kind mal auf der Kinderstation gelegen hatte und die anderen immer Gruselgeschichten vom Leichenkeller erzählten. Leichen sind schlimm, denkt Nora. Und in dem Moment sagt Tom; Leichen sind irgendwie schlimm. Und Nora wundert sich gar nicht weiter, daß Tom deutsch geredet hat. An diesem Abend ißt sie zum erstenmal ein bißchen was von dem Krankenhausessen, ohne es wieder auszubrechen.
Sie klaut auch keine Schlaftabletten, um die ganze Zeit zu schlafen und nichts essen zu müssen, sie denkt auch nicht mehr, daß es toll ist im Krankenhaus zu sein, weil sie da schlafen kann, ohne was zu essen, und daß sie total gut ab-nehmen kann im Krankenhaus. Sie denkt an Tom, an diesem Abend, während ihr Magen sich über die Nahrung wundert. Und Nora ist zum erstenmal in ihrem Leben verliebt, und darum weiß sie gar nicht, wie die Aufregung heißt, in ihrem Magen.
Da kommt Erde auf KARL drauf
Der Raum war geschmückt, wie junge Leute einen Keller zum Partyraum zu gestalten versuchen würden. Häßliche Rohre abgedeckt mit alten Brokatstoffen. Eine Fahne auf gesprungene Bodenfliesen und Kerzen an, damit das Ganze erträglich würde. Rosen standen da auch, aber dem Raum war nicht mehr zu helfen. Kalt war es, und der Geruch gab jedem den Rest. Viele waren nicht gekommen.
Der Heimleiter, ein paar Schwestern, drei alte Frauen und Ruth. Standen um den offenen Sarg und in dem lag er.
Sieht aus wie eine Wachsfigur, dachte Ruth und sah in den Sarg. Und dann dachte sie noch, bald liege ich auch so da und der Gedanke war auf der einen Seite ganz gut, denn was Ruth sah, hatte nichts Erschreckendes an sich. Es war nur noch ein Körper und obwohl Ruth an nichts glaubte, schien es ihr auf einmal ganz selbstverständlich, daß es eine Seele gab, und die schon geraume Zeit diesen Körper verlassen hatte. Auf der anderen Seite war Ruth unangenehm berührt, denn was sie da liegen sah, war endgültig, war wahr. Es gibt ihn also, den Tod. Es gibt wirklich ein Ende. Das ist nicht nur eine Lüge, die uns Ärzte und Be-stattungsunternehmen erzählen. Das Leben ist endlich, begriff Ruth. Und sie wußte nicht genau, was sie mit diesem Begreifen anfangen sollte. Es kamen dann später zwei häßliche Männer in schlechtsitzenden Anzügen. Sie schoben den Sarg hinter eine Wand, Der Sarg stand auf Rollen, und das fand Ruth irgendwie komisch. Das war so, wie sie sich als Kind immer gewünscht hatte, ein Bett mit Rä-
dern zu haben, das über Straßen fuhr, während sie unter der Decke lag und Gummitiere aß. Der Sarg wurde dann einen kleinen Weg langgetragen. Es war so still, daß alle spürten, wie peinlich es der einen alten Frau sein mußte, die immer eine Nase voll Rotz hochzog. Wo sollte sie auch hin damit. Der Sarg wurde dann in eine Grube gesenkt und selbst das Schaben des Holzes, das Bröseln der Erde, das Schnaufen der Träger waren peinlich. Profan. Nach irgendeiner Sitte warfen die wenigen Trauergäste dann ein bißchen Erde auf den Sarg. Ruth war als letzte dran. Sie öffnete ihre große Umhängetasche und nahm die Armprothese heraus. Warf sie in die Grube. Auf den Sarg von Karl. Karl, der einen Unfall hatte in Ruths Zimmer. Einen, den sich keiner erklären konnte. Nur Karl könnte vielleicht erzählen, daß er einen Stoß bekommen hat und ihm wer in die Kniekehlen trat, daß er mit dem Kopf auf den Heizkörper aufschlug, den Schmerz gar nicht spürte.
Spürte, wie sein Kopf an den Haaren wieder hochgerissen wurde, mit viel Kraft wieder aufgeschlagen, das Ohr, die eine Seite des
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