Ein paar Tage Licht
sehr vorsichtig eine Brille heraus und legte sie auf den Tisch. »Sie gehörte meinem Sohn Mouloud. Djamels Vater. Sie wird mindestens zwanzig Jahre alt sein. Er hat sie an dem Abend verloren, als er verschwunden ist.«
»Verschwunden?«
Über Benmedis Wangen liefen Tränen, er schien es nicht zu bemerken. »Im September 1995. Djamel hat sie aufgehoben. So, wie er die Fotos aufgehoben hat.«
Mit flüchtiger Stimme, verborgen hinter einer wabernden Wand aus Zigarettenrauch, begann er zu erzählen – vom Befreiungskrieg, von Hass und Rache und Tod, dem Tod seiner Frau und, viele Jahre später, dem seines Sohnes, der ebenfalls ein Kämpfer gegen das herrschende System gewesen sei, nur mit anderen Waffen, der Güte, dem Koran, dem Intellekt.
Während er sprach, ließ er Eley nicht eine Sekunde aus den Augen, als wollte er ihm noch etwas erzählen, was in den Wörtern mitschwang, was er anders nicht aussprechen wollte oder konnte, weil er es vielleicht gar nicht wusste, sondern nur vermutete.
Als sich die Tür öffnete, Wollkatsch und Landrich eintraten, verstummte er. Doch Eley hatte verstanden.
Der Großvater im Widerstand, der Vater.
Der Enkel.
Wenig später verließen sie das Efeuhaus. Die Einsatzkräfte kehrten nach Brandenburg zurück, Eley, Landrich und Wollkatsch fuhren zu Dani Janke.
Auch die Tochter war da, Jenny, eine kleine, stämmige Frau Ende zwanzig. Sie musste es nicht sagen, es war offensichtlich: Sie hatte sich Hals über Kopf in Djamel verliebt.
»Wenn Sie ihn kennen würden …«
»Ja«, unterbrach Eley sie. »Es tut mir leid.«
»Aber was für einen Anschlag denn?«, fragte die Mutter.
»Möglicherweise auf einen Waffentransport.«
»Nein«, sagte Jenny. »Sie kennen ihn nicht.«
»Ich habe seine Kameraden in Algerien kennengelernt. Sie haben zwei Deutsche entführt und einen von ihnen erschossen.«
Landrichs Telefon klingelte. Er verschwand im Flur, Eley hörte ihn sprechen, verstand akustisch nur ein Wort, »Exzellenz«. Der algerische Botschafter.
»Sie haben die Nacht mit ihm verbracht?«
»Ja.«
»Hat er Ihnen erzählt, dass er heute nach Berlin fährt?«
Jenny schüttelte den Kopf. Sie hatten vereinbart, sich am Abend zu treffen, this evening . Aber er war nicht gekommen. Sie weinte stumm, doch sie wirkte stabil, sie würde es überleben. Eher der Schreck, dachte Eley, als Verzweiflung.
Wollkatsch entschuldigte sich, fragte nach einer Toilette. Dani Janke führte ihn nach oben.
»Worüber haben Sie mit Djamel gesprochen?«
»Über seinen Vater, meinen Vater, über …«
»Was ist mit Ihrem Vater?«
»Er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, vor elf Jahren.«
»Und was hat er über seinen Vater erzählt?«
Wieder Amel, wieder Parallelen, andere diesmal, wieder das Trauma, das der algerischen Krankheit zugrunde lag, dem freiwilligen und dem verordneten Schweigen. Eine Neunzehnjährige, die sich auf vermummte Mörder stürzte, ein Elfjähriger, der Tag für Tag zum Gefängnis ging, in dem der verschleppte Vater angeblich inhaftiert, in Wirklichkeit wohl längst ums Leben gekommen war. Die Angst einer Tochter, einer Mutter, dass sich die furchtbare Nacht wiederholen könnte, die Sehnsucht eines Sohnes nach Gewissheit über das Schicksal des Vaters.
Landrich kam zurück, zog Eley beiseite. Sie traten in die kleine, überhitzte Küche, in der ein durchdringender Geruch nach Kartoffeln und Fleisch hing. Soudani sei in Berlin, sagte Landrich, allerdings wisse der Botschafter nicht, wo. »Ich verstehe immer noch nicht, warum das wichtig sein soll.«
»Alles ist jetzt wichtig«, sagte Eley.
»Könntest du dich bitte bemühen, dich klarer auszudrücken?«
Eley musste schmunzeln. Er gehe davon aus, erwiderte er, dass Soudani ahne, was Djamels Leute vorhätten. Also sei er vermutlich dort, wo sie seien.
»Die Gewehre sind im Süden«, sagte Landrich skeptisch. »Soudani ist in Berlin.«
»Vielleicht geht es ja gar nicht um die Gewehre.« Eley rieb sich die Schläfen, konnte nicht mehr klar denken. Es musste um die Gewehre gehen. Warum sonst hatten Toumis Leute Richter entführt? Er war bei Meininger Rau für den Verkauf der MRG 45 nach Algerien zuständig gewesen. In Kürze wurde in Deutschland die erste Tranche auf den Weg gebracht. Soudani, ebenfalls in das Geschäft involviert, war in Deutschland. Djamel, dessen Leute Richter entführt hatten, auch. Natürlich ging es um die Gewehre. »Wir müssen jemanden von Meininger Rau ans Telefon bekommen.«
»Ja«, sagte
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