Ein paar Tage Licht
für das Grab vorbereiten durfte, war er zuverlässig. Ein ernsthafter, pickliger Neunzehnjähriger, der sich vorgenommen hatte, etwas aus sich zu machen, eines Tages aus Berlin-Spandau herauszukommen, wo er geboren war und noch immer lebte. Nicht unbedingt nach Pessin natürlich, das war nur eine Zwischenstation, er arbeitete für eine kleine Baufirma aus dem Ort und pendelte täglich. Er wollte in die Türkei, wollte für die Landbewohner Häuser und Staudämme und Straßen bauen. Die Fünfziger wurden gespart.
»Im Februar hab ich drei Wochen Urlaub«, sagte Hamit.
»Im Februar ist es mir zu kalt zum Sterben«, sagte Benmedi.
Mit dem Lieferwagen der »Baufirma Petra Glisewitz« fuhren sie zum evangelischen Friedhof, der kaum vierhundert Meter von Benmedis Haus entfernt war, im Trauertempo, auch das wollte geübt werden. Vielleicht das Schwierigste, Hamit war ein Junge mit Tatendrang. »Nein, nein, langsamer «, sagte Benmedi. »Feierlicher, bitte.«
Der kleine Friedhof hatte ihm von Anfang an gefallen. Ein verträumter, stiller Ort, von Gras, Gebüsch und schlanken Bäumen bewachsen, die den Wind abhielten, ihn in ihren Kronen säuseln ließen.
Laub knisterte unter ihren Schuhen, als sie dem gepflasterten Hauptweg folgten. Hamit ging voran, führte ihn an der schlichten Trauerhalle mit dem für die Christenheit typisch überdimensionierten Kreuz auf der Stirnseite vorbei. Vor dem für eine islamische Bestattung ausgewiesenen Grabfeld, das Benmedi sich in langen Gesprächen mit den zuständigen evangelischen Stellen erstritten hatte, blieben sie stehen. Es bot gerade genug Platz für einen toten Muslim.
Paulines Grab befand sich unmittelbar daneben auf evangelischem Boden, sodass sie sich, wenn ihnen danach war, über die Grenzen der Konfessionen hinweg die Hand reichen konnten. Benmedi tätschelte ihren Grabstein, wischte ein paar Zweige von der steinernen Platte. Blumen brachte er nie, Pauline hatte für Pflanzen nichts übrig gehabt. Sie war eine Frau der festen, künstlichen Dinge gewesen, am Liebsten aus Stahl, Eisen oder Blech, gern verrostet, verbogen, verbeult. Darin, hatte sie gesagt, erkenne man einen Menschen, liege sein Wesen: in dem, was er gefertigt und benutzt habe.
»Denk dran, ich will ohne Sarg da rein.« Benmedi deutete auf die Wiese neben Pauline. »Du fährst mich im Sarg her, aber ins Grab komme ich ohne Bretter vor dem Kopf.« Weitere lange Gespräche mit dem Pastor waren nötig gewesen, bis man ihm das gestattet hatte. Die Christen erleichterten den Würmern die Arbeit ungern.
»Ist klar«, sagte Hamit. »Ich leg Sie ohne Sarg da rein, und dabei spreche ich die Basmala, richtig?«
»Aber nicht die Kurzform, ich will die ganze.«
»›Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.‹«
»Ja«, sagte Benmedi. »Auf welche Seite legst du mich?«
»Auf die rechte.«
»Die rechte, das Gesicht nach Mekka. Wo ist Mekka?«
Hamit deutete auf den rechten der beiden am nächsten stehenden Bäume.
»Nein, da ist Algerien. Da ist Mekka, hinter dem linken.«
»Ich leg Sie auf die rechte Seite, aber der linke Baum ist Mekka«, murmelte Hamit.
»Nicht durcheinanderbringen. Sonst komme ich nicht ins Paradies, sondern nach Grönland, und das würde ich dir nicht verzeihen.«
Hamit schlug vor, auch an dem Baum ein Mekka-Schild anzubringen wie in Benmedis Küche, nur zur Sicherheit, Grönland sei ein zu großes Risiko. Benmedi versprach, darüber nachzudenken. Halb Pessin zierten seine Kacheln mit bunten Ornamenten, Vor- und Nachnamen, arabischen Sinnsprüchen und einzelnen Wörtern in »Schnörkelschrift«, warum nicht auch den Friedhof? Niemand musste ja erfahren, was darauf stand.
Sie kehrten zum Eingang zurück.
»Und was passiert, wenn ich vor Ihnen sterbe?«
»Dann wasche ich dich «, erwiderte Benmedi, zeigte auf Hamits Mitte, »und der da unten kommt in Sagrotan, damit er auch ja sauber wird.«
Er ging allein zurück, über die Bundesstraße, bei Rot, kein Auto weit und breit. Er folgte dem Knick der Dorfstraße, bog gegenüber von dem eingerüsteten Kirchlein ab, immerhin die älteste Kirche des Westhavellandes, er war Mitglied im Förderverein und unterstützte die Sanierung nach Kräften.
In der Straße der Jugend kam ihm auf dem Fahrrad die ehrenamtliche Bürgermeisterin entgegen, Dani Janke, eine tatsächlich jugendlich wirkende Frau Anfang fünfzig, die Haare kurz und rostrot gefärbt. Vorgebeugt mühte sie sich gegen den Wind, der aufgekommen war. Benmedi winkte, sie
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