Ein Pakt mit dem Teufel: Roman (German Edition)
zu geben, um zu verhindern, dass Ihr Sohn den Preis für den verbrecherischen Missbrauch zahlen muss, obwohl Sie so etwas als abstoßend empfinden. Widert es Sie im gleichen Maße an, Dinah Lambourn wenigstens das Recht auf eine unvoreingenommene Verhandlung zuzugestehen? Auch sie ist jemandes Kind, und irgendwo leben Menschen, die sie lieben. Aber selbst wenn es die nicht gäbe, wäre sie es dann weniger wert, vom Gesetz geschützt zu werden?«
»Es ist ein natürlicher … ein natürlicher Instinkt«, stammelte Pendock. »Diese Verleumdung wird die Regierung schädigen, alles gute Männer. Wir können nicht die Gesetze ändern und die Menschen der Freiheit berauben, ihre Schmerzen mit einem erschwinglichen Mittel ihrer Wahl zu lindern, nur damit man der Wenigen habhaft werden kann, die diese Freiheit missbrauchen.«
»Ich liebe meine Freiheit genauso wie mein Nachbar«, erwiderte Rathbone. »Aber nicht, wenn das auf Kosten der Schwächeren und Verletzlichen geht und diejenigen, die sie ausbeuten, nach Belieben schalten und walten dürfen. Lieben Sie Ihren Sohn mehr als die Gerechtigkeit?«
Pendock ließ den Kopf in die Hände sinken. »Es sieht danach aus, nicht wahr?«, flüsterte er. »Nein. Das stimmt nicht, glaube ich … aber …« Langsam öffnete er die Augen. Sein Gesicht war plötzlich das eines alten Mannes. »Rufen Sie Ihre Zeugen auf, Rathbone.«
Zwanzig Minuten später stand Rathbone vor dem Zeugenstand, den die gewaltigste Frau besetzte, die er seiner Erinnerung nach je gesehen hatte. Dabei war sie gar nicht übermäßig dick und auch nicht größer als ein hochgewachsener Mann, aber dort oben schien sie sich über dem ganzen Saal zu erheben. Sie hatte Schultern so breit wie ein Hafenarbeiter, eine tonnenförmige Brust und muskelbepackte Arme. Ihre Miene wirkte grimmig, ganz so, als forderte sie das Gericht dazu heraus, es nur zu versuchen, sie mit seinem Ritual und seiner Macht einzuschüchtern.
Rathbone war bereits darüber informiert, was sie sagen würde. Hester hatte ihm von ihr berichtet; außerdem hatte er mit ihr persönlich sprechen können. Die wichtigsten Themen standen damit fest: ihr leidenschaftlicher Einsatz für die Linderung der Schmerzen all derer, die sonst niemanden hatten, ihr Wissen über Opiumsucht und Entzugserscheinungen und ihr Mitgefühl für Alvar Doulting, den von heute und den, der er einst gewesen war. Hester hatte ihm eingeschärft, dass es schwer werden könnte, mit Agatha umzugehen. Und in der Tat konnte sich Rathbone des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre Warnung sich noch als stark untertrieben erweisen würde. Aber nun gab es kein Zurück mehr.
Alle Anwesenden warteten in gespannter Stille. Die Geschworenen waren verwundert, dass es immer noch nicht zu Ende war. Und Coniston war mehr als überrascht. Er wirkte regelrecht konsterniert. Offenbar hatte Pendock ihm nichts vorab erklärt. Wie hätte er das auch können?
Rathbone räusperte sich. Er musste einfach gewinnen. Bei seinem hohen Einsatz hatte er keine andere Wahl.
»Miss Nisbet«, begann er. »Meines Wissens leiten Sie am Südufer des Flusses eine Klinik für Hafenarbeiter und Seeleute, die bei der Ausübung ihres gefährlichen Berufs schwere Verletzungen oder Erkrankungen erlitten haben. Trifft das zu?«
»Das ist korrekt, ja«, antwortete sie mit einer für eine so große Frau unerwartet sanften Stimme. Zumindest hätte sich niemand über einen Bariton gewundert.
»Benutzen Sie zur Linderung ihrer Schmerzen auch Opium?« Behutsam wollte Rathbone sie zum Zusammenhang mit Lambourn lenken.
»Ja natürlich. Sonst gibt es ja nix, was den Leuten hilft. Manche haben schlimme Schmerzen. Brechen Sie sich mal ein halbes Dutzend Knochen, dann wissen Sie, was ich meine. Und wenn Sie sich ’nen Arm oder ein Bein zertrümmern lassen, können Sie noch besser mitreden.«
»Ich wollte gerade sagen, dass ich es mir gut vorstellen kann«, erwiderte Rathbone freundlich. »Aber das wäre wohl gelogen gewesen. Ich habe keinen Begriff davon, wofür ich unendlich dankbar bin.« Er wartete kurz, um den Geschworenen Zeit zu geben, sich die Situation vor Augen zu halten, sich unsägliche Schmerzen vorzustellen und eine Ahnung davon zu bekommen, was diese Frau tagtäglich leistete.
»Sie benutzen also große Mengen von Opium. Dann müssen Sie auch wissen, wo es gekauft werden kann, und kennen sich vielleicht mit dem Opiumhandel im Allgemeinen aus?« Es war eine Feststellung, aber er ließ sie wie eine Frage klingen.
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